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Werbeinformation der Metzler Asset Management GmbH - 8.10.2021 - Edgar Walk

Wachkomapatient Weltwirtschaft: Die Körperfunktionen spielen verrückt

Die Arbeit eines Arztes und die eines Volkswirts hat überraschend viele Gemeinsamkeiten. So beginnt die Arbeit des Arztes mit der Diagnose, dann folgen Behandlung und Genesungsprognose. Ganz ähnlich geht der Volkswirt vor.

Die Analogie zur Medizin lässt sich weiterspinnen: Während der Finanzmarktkrise 2008 erlitt die Weltwirtschaft einen schweren Herzinfarkt und liegt seitdem in einer Art Wachkoma. Der Indikator, der die Gehirnaktivität der Weltwirtschaft anzeigt, ist die Leitzinsentwicklung der wichtigsten Zentralbanken. Seit der Finanzmarktkrise bewegen sich die Leitzinsen nahezu unverändert bei 0 %. In diesem Jahr jedoch scheint die Weltwirtschaft verrückt zu spielen: Der Blutdruck schießt plötzlich nach oben und fällt dann wieder rapide, ebenso die Zuckerwerte, die Leberwerte und andere wichtige Parameter. Übersetzt in die Volkswirtschaft heißt das: Die Holzpreise, die Gebrauchtwagenpreise, die Containerfrachtraten, die Strompreise etc. schlagen heftige Kapriolen.  

Wie lautet nun die Diagnose: Stirbt der Patient, beruhigen sich die Körperfunktionen wieder, bleibt er im Wachkoma, oder findet er ins Leben zurück?

Bewirken die hohen Energiepreise eine Stagflation?

In den vergangenen Tagen stiegen die Erdgas- und Strompreise in Europa rapide, in Asien war eine vergleichbare Entwicklung der Erdgaspreise zu beobachten. In der Spitze erreichte der Großhandelspreis für Strom in Deutschland sogar fast das Vierfache des Preises gegenüber dem Jahresanfang.

Vervierfachung des Großhandelsstrompreises in Deutschland seit Jahresanfang
Stromgroßhandelspreis in Deutschland, in EUR pro Megawattstunde

Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler

Stand: 5.10.2021

Ein Grund dafür könnte das geringe Investitionsvolumen der Energieunternehmen in die Produktion fossiler Energieträger sein. Seit 2015 sind die realen Investitionen der im MSCI Welt vertretenen Rohstoff- und Energieunternehmen um mehr als 60 % gefallen. Dahinter steht die Notwendigkeit, im Kampf gegen den Klimawandel von den fossilen Brennstoffen wegzukommen und auf alternative Energiequellen zu setzen. So werden kaum noch neue „fossile“ Projekte von den Banken und Finanzmärkten finanziert. Auch wurden große Energieunternehmen gerichtlich gezwungen, nicht mehr in neue „fossile“ Projekte zu investieren. Investitionen in alternative Energien wie Wind und Solar werden überwiegend von der Versorgerbranche umgesetzt. Manche bezeichnen die aktuelle Entwicklung auch als „Rache der alten Branchen“. Und so haben die Preisentwicklungen im Energiesektor auch ihr Gutes: Sie schaffen einen Anreiz dafür, die Energiewende schneller umzusetzen. 

In den vergangenen Tagen aber war der Preisanstieg einfach schockartig und daher kontraproduktiv. Ein harter Winter in Europa und/oder Asien könnte die Lage am Energiemarkt sogar noch merklich verschärfen. Makroökonomisch betrachtet handelt es sich um einen Angebotsschock, der das Wachstum stark belasten und die Inflation anheizen könnte. Damit würden die Risiken einer Stagflation steigen. Wie stark die makroökonomischen Effekte sind, wird jedoch davon abhängen, wie lange die Preise auf den aktuell extrem hohen Niveaus verharren.  

Warum kommt es erst jetzt zu Energie- und Lieferkettenengpässen – und nicht zu den Hochpunkten der Pandemie im April und Winter 2020?

Ganz einfach deshalb, weil die Unternehmen im produzierenden Gewerbe schnell gelernt haben, auch unter Pandemiebedingungen zu produzieren und zu transportieren. Dementsprechend verzeichnete die Industrie kaum eine Nachfrageschwäche, während der Dienstleistungssektor – völlig atypisch – maßgeblich die Rezession verursachte. 

In den vergangenen Jahrzehnten machten die Unternehmen jedoch immer wieder die Erfahrung, dass sich nach einer Rezession die Nachfrage nur schleppend erholt. Daher war es bisher in einer Rezession immer eine richtige Reaktion gewesen, Lagerbestände abzubauen, nicht in neue Kapazitäten zu investieren und Cash zu sichern. 

Doch dieses Mal kam es aufgrund der atypischen Rezession mit einer schnellen Öffnung des Dienstleistungssektors und den sehr umfangreichen staatlichen Finanzhilfen zu einem Mega-Aufschwung der Nachfrage. Für die Unternehmen kam das völlig überraschend. Ein Beispiel: In der Pandemie verkauften die US-Mietwagenfirmen einen großen Bestand ihrer Fahrzeugflotte. Als zu Jahresanfang die Nachfrage nach Mietwagen rapide ansprang, mussten die Mietwagenfirmen auf dem Gebrauchtwagenmarkt bis zu 50 % höhere Preise zahlen, um ihre Flotten wieder aufzustocken. Die Weltwirtschaft ist also derzeit völlig von der hohen Nachfrage überfordert. 

Trotz schon hoher und noch weiter steigender Aufträge sank beispielswiese zuletzt die Automobilproduktion in Deutschland. Schuld daran war ein Mangel an Halbleitern. Auch stieg die Containerfrachtrate von Shanghai nach Rotterdam von etwa 2.000 USD pro 40-Fuß-Container im November 2020 auf zuletzt über 14.000 USD. Es ist davon auszugehen, dass sich die Probleme in den Lieferketten bald wieder entspannen, da die Preise die richtigen marktwirtschaftlichen Signale für die notwendige Angebotsreaktion senden. Die spannende Frage ist nun, wie schnell die derzeit knappen Vorleistungsgüter produziert werden können. 

Vieles spricht dafür, dass die Weltwirtschaft vorerst immer noch mit der hohen Nachfrage überfordert sein wird. Entsprechend dürfte es noch bis Mitte nächsten Jahres dauern, bis eine nennenswerte Entspannung beginnt. Die europäische Wirtschaft wird also wohl noch einige Zeit mit angezogener Handbremse wachsen. 

Die sich abzeichnende Energie- und Lebensmittelkrise dürfte dagegen struktureller Natur sein. Der Klimawandel beeinträchtigt immer stärker die Lebensmittelproduktion weltweit, und die Weltbevölkerung wächst, sodass tatsächlich die „Malthus-Falle“ droht, der zufolge ein die notwendige Lebensmittelproduktion übersteigendes Wachstum der Weltbevölkerung möglich ist. Deutlich steigende Lebensmittelpreise wären eigentlich notwendig, um die richtigen Anreize für Innovationen in der Lebensmittelproduktion zu setzen und für eine Anpassung des Lebensmittelkonsums zu sorgen. 

Hohe Lebensmittelpreise bedrohen jedoch den sozialen Frieden in den ärmeren Ländern. Die Agrarpolitik in Europa und weltweit dürfte daher bald wieder in den allgemeinen Fokus rücken. Darüber hinaus gibt es gleichzeitig weltweit die Bestrebungen, die Produktion fossiler Brennstoffe zu reduzieren, um die Folgen des Klimawandels zu mildern. Die politisch gewünschte Verknappung dieser Brennstoffe sorgt derzeit – wie oben beschrieben – jedoch für stark steigende Energiepreise. Marktwirtschaftlich ist das zu begrüßen, da somit ein großer Anreiz entsteht, in klimafreundliche Alternativen zu investieren und Innovationen zu entwickeln. In den Wintermonaten dürfte die Energieversorgung in Europa jedoch stark unter Druck geraten, und vielleicht wird es sogar zu Lieferengpässen kommen.

Insgesamt droht damit ein merklicher Anstieg der Inflation, der auch bis ins nächste Jahr reichen dürfte. Als eine Folge dessen sind die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten gestiegen. Ein zehnjähriger Inflationsswap handelt derzeit auf einem Niveau von 1,95 %. Vor der Staatsschuldenkrise lag das durchschnittliche Niveau jedoch bei etwa 2,25 %. Damals standen die Inflationserwartungen noch im Einklang mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB). 

In einem Inflationsswap ist neben den Inflationserwartungen noch eine Inflationsrisikoprämie eingepreist. Die EZB steht also unter keinem Druck, die Geldpolitik schnell restriktiver gestalten zu müssen. Sie dürfte sich bis Dezember Zeit lassen, über die Zukunft des Pandemie-Notfallkaufprogramms für Anleihen (PEPP) zu entscheiden. Es besteht jedoch das Risiko, dass die Inflation und die Inflationserwartungen in den USA außer Kontrolle geraten und die US-Notenbank früher als erwartet zu Leitzinserhöhungen gezwungen sein könnte.

Inflationsrisiken am US-Arbeitsmarkt 

In den USA stieg die Zahl der offenen Stellen (Dienstag) im Juli auf knapp 11 Mio., dagegen beträgt die Zahl der Arbeitslosen nur etwa 8 Mio. Es hat sich also ein erhebliches Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt aufgebaut.

USA: Großes Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt
in Mio.

Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler

Stand: 31.8.2021

Schon seit April 2021 ist die Zahl der offenen Stellen höher als die Zahl der Arbeitslosen. Dementsprechend wundert es kaum, dass sich die Wachstumsrate der Löhne auf 5,7 % (annualisiert) im August gegenüber April beschleunigt hat. Das Lohnwachstum lag damit sogar über dem moderaten Aufwärtstrend seit 2011. Seit 2011 war nämlich im Einklang mit der moderat fallenden Arbeitslosenquote eine moderate Beschleunigung des Lohnwachstums zu beobachten.

USA: Beschleunigte Lohnsteigerungen
Durchschnittliche Monatslöhne in % ggü. vor vier Monaten, annualisiert
USA: Beschleunigte Lohnsteigerungen
Quellen: Refinitiv Datastream

Stand: 31.8.2021

Ein hohes Lohnwachstum muss aber nicht zwangsläufig zu hoher Inflation führen, da die Produktivität nach der Pandemie deutlich angesprungen sein könnte. So scheinen viele Unternehmen die Pandemie für eine Restrukturierung und eine bessere Digitalisierung genutzt zu haben. Die US-Inflationsdaten (Mittwoch) werden zeigen, ob sich tatsächlich ein größeres Inflationsproblem in den USA aufbaut. Daneben werden in den USA noch die Einzelhandelsumsätze (Freitag), das Protokoll der Notenbanksitzung (Mittwoch) und der Geschäftsklimaindex der kleineren und mittleren Unternehmen (Dienstag) veröffentlicht.

Europa und China

In China werden die Exporte (Mittwoch) und die Inflation (Donnerstag) im Fokus stehen, in der Eurozone der ZEW-Index (Dienstag) und die Industrieproduktion (Mittwoch).

Diagnose und Prognose des Volkswirts

Es besteht eine gute Chance, den Patienten mithilfe eines Inflationsschocks wieder ins Leben zurückzuholen. Die Ärzte (Zentralbanker) werden dabei jedoch aufs äußerste herausgefordert, da sie einerseits den Inflationsschock nicht zu groß werden lassen dürfen und ihn andererseits auch nicht zu schnell wieder abwürgen dürfen, da der Patient dann wieder ins Wachkoma fallen könnte. 

Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management
Edgar Walk

Chefvolkswirt , Metzler Asset Management

Edgar Walk arbeitet seit 2000 bei Metzler. Als Chefvolkswirt im Bereich Asset Management ist er für die volkswirtschaftlichen Prognosen verantwortlich. Aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit dem Portfoliomanagement liegt sein Fokus neben der volkswirtschaftlichen Analyse verstärkt auf Kapitalmarktthemen. Vor seiner Anstellung bei Metzler studierte Herr Walk in Tübingen Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Regionalstudien Ostasien und Japan. Zur Vertiefung seiner Studien verbrachte er ein Auslandssemester an der Doshisha-Universität in Kyoto (Japan). Am Institut für Weltwirtschaft in Kiel absolvierte er anschließend den Aufbaustudiengang „Advanced Studies in International Economic Policy Research“.

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