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Eine Werbemitteilung der Metzler Asset Management GmbH - 11.1.2022 - Edgar Walk

Ausblick 2022: Zentralbanken auf dem Prüfstand

Kernthesen

Volkswirtschaft

  • Inflation und Zentralbankpolitik sind maßgebliche Einflussfaktoren für die Finanzmärkte 2022
  • Die traditionellen Prognoseansätze wie Geldmenge oder Phillips-Kurve funktionieren nicht mehr
  • Nur die langfristigen Inflationserwartungen unter Berücksichtigung der erwarteten Geldpolitik liefern zuverlässige Signale für die Inflationsperspektiven 
  • An den Finanzmärkten ist die Erwartung einer zu restriktiven Geldpolitik und einer Rückkehr zu den niedrigen Inflationsraten vor 2021 vorherrschend 
  • Wir erwarten in unserem Basisszenario keine Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) und nur zwei Zinsschritte der US-Notenbank für 2022
  • Wir sehen jedoch ein großes Risiko für einen Stimmungsumschwung aufgrund anhaltender Inflationsüberraschungen
  • In diesem Fall müsste die US-Notenbank 2022 den Leitzins um 1,5 Prozentpunkte anheben, die EZB um 0,75 Prozentpunkte

Finanzmärkte

  • In unserem Basisszenario gehen wir von einem positiven Umfeld für Finanzanlagen aus – mit soliden Wachstumsperspektiven, einer fallenden Inflation und einer expansiven Geldpolitik 
  • Im Basisszenario rechnen wir mit Erträgen von mehr als 10 % am Aktienmarkt, stabilen Spreads von Unternehmensanleihen und nur moderat steigenden Renditen von Staatsanleihen
  • Sollte sich tatsächlich eine „Inflationspsychologie“ in den USA verfestigen, müsste die US-Notenbank 2022 den Leitzins um etwa 1,5 Prozentpunkte anheben, um die Kontrolle zurückzugewinnen
  • Die Folgen wären eine deutliche Aufwertung des US-Dollar sowie große Verluste an den Anleihe- und Aktienmärkten 
  • Höhere Zinsen würden Anleihen wieder zur Alternative zu Aktien machen, was zu einem Rückgang der Bewertung am Aktienmarkt führen könnte

Kurzer Rückblick: Hohes Wirtschaftswachstum führte zu hohen Inflationsraten 

Die Weltgemeinschaft konnte zumindest unter wirtschaftlichen Aspekten die Pandemie schon 2021 überwinden. So dürfte die Wirtschaft in den USA im vergangenen Jahr ein Wachstum von 5,5 Prozent erreicht haben, in der Eurozone von 5,1 Prozent und in China von 8,0 Prozent.

Das hohe Wachstum ging jedoch auch mit einer Explosion der Inflationsraten einher. So stieg die Inflation im November in den USA auf 6,8 Prozent, den höchsten Wert seit 1982; und selbst in der Eurozone erreichte sie mit 4,9 Prozent einen neuen Rekordwert seit Einführung des Euros 1999. 

Die Unternehmen stellten sich zu Beginn der Pandemie auf eine längere Durststrecke ein als nach der Finanzmarktkrise 2008 und wurden dann im Jahresverlauf 2021 von einer sehr starken globalen Nachfrage überrascht. Die Folgen waren eine Überlastung der Lieferketten, eine hohe Nachfrage nach Energie und ein rapides Beschäftigungswachstum. Gegen Ende des Jahres kamen die beiden großen Zentralbanken, EZB und Fed, angesichts der hohen Inflationsraten unter großen öffentlichen Druck, die Leitzinsen so schnell wie möglich anzuheben. 

Die Geldpolitik kann jedoch die vergangene Inflation nicht mehr beeinflussen, sondern muss sich an den zukünftigen Inflationsperspektiven ausrichten. Daher stellt sich die spannende Frage: Was macht die Inflation 2022?

Wie aber Inflation prognostizieren? 

Ein Blick auf die vergangenen zehn Jahre zeigt, dass es anscheinend nicht so einfach ist, die Inflation zu prognostizieren. So fiel sie beispielsweise in den USA zwischen 2009 und 2019 nahezu jedes Jahr niedriger aus als von der US-Notenbank erwartet. Gegenüber dem Inflationsziel der US-Notenbank war die Abweichung sogar noch deutlich größer: Sie betrug zwischen 2009 und 2019 kumuliert etwa 5 Prozentpunkte, was sich nur als große Fehlleistung der Fed bezeichnen lässt.

Fed: Inflationsprojektionen überschätzen die tatsächliche Preisentwicklung seit 2012 in fast jedem Jahr
Jährliche und kumulierte Abweichungen der Konsumentenpreisinflation (Core PCE) von der Fed-Projektion* und dem Inflationsziel

Quellen: Federal Reserve, Bureau of Economic Analysis, Metzler

* Die Fed-Projektion bezieht sich auf die prozentuale Veränderung der Konsumentenpreise (PCE) exklusive Lebensmittel und Energie. Die Prognose ergibt sich aus den Vorjahreseinschätzungen (bis 2011 November des Vorjahres, ab 2012 September des Vorjahres) der sieben Mitglieder des Board of Governors und den zwölf Präsidenten der regionalen Federal Reserve Banks.

Die Fehlleistung resultiert unseres Erachtens daraus, dass der von der US-Notenbank verfolgte Prognoseansatz einfach nicht mehr funktioniert. Heutzutage basiert nahezu jedes Prognosemodell auf der Phillips-Kurve, die einen engen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Inflation postuliert. Trotz einer stetig fallenden Arbeitslosenquote bis auf 3,5 Prozent bis zur Pandemie war weder eine Beschleunigung der Lohndynamik noch der Inflation zu beobachten.  

Die Inflationsprognosemodelle der Zentralbanken basieren auf der Philips-Kurve – funktionieren aber schon länger nicht mehr
Beispiel USA: Arbeitslosenquote in % und Konsumentenpreisdeflator* in % ggü. Vj.
Die Inflationsprognosemodelle der Zentralbanken basieren auf der Philips-Kurve – funktionieren aber schon länger nicht mehr
Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand 31.10.2021

* Ohne Energie und Lebensmittelpreise

Die US-Notenbank richtete jedoch über diesen Zeitraum ihre Geldpolitik an ihren eigenen (zu hohen) Inflationsprognosen aus und hob daher schon Ende 2015 den Leitzins an, was eine zu restriktive Geldpolitik zur Folge hatte. In der Eurozone war in diesem Zeitraum sogar eine noch größere Abweichung der Inflation vom Inflationsziel der EZB zu beobachten.

Da schon in den 1970er-Jahren der monetaristische Ansatz scheiterte, die Inflation mithilfe von Geldmengenaggregaten zu prognostizieren, müssen die Zentralbanken derzeit unter einer ungewöhnlich hohen Unsicherheit agieren, da sie sich auf kein makroökonomisches Modell zur Inflationsprognose mehr verlassen können. 

Inflation als soziales Konstrukt 

In unserem heutigen Papiergeldsystem ist der Geldwert beziehungsweise die Kaufkraft des Geldes grundlegend unbestimmt, da potenziell jede denkbare Geldmenge möglich ist und Geld keinen intrinsischen Wert hat. 

Im Gegensatz dazu war unter einem Goldstandard der Geldwert immer klar definiert – wie unter dem Bretton-Woods-System, als 35 USD immer einer Unze Gold entsprachen. Auch hat Gold einen inneren Wert, da es noch in vielen anderen ökonomischen Bereichen zur Anwendung kommt – etwa in der Schmuckindustrie. 

Warum eigentlich wertlosem Geld in einem Papiergeldsystem ein Wert beigemessen wird, hat nur einen einzigen Grund: Alle Wirtschaftsakteure erwarten, dass ihr Geld auch in Zukunft immer einen Wert haben wird. Sollte beispielsweise plötzlich in der Bevölkerung die Angst aufkommen, dass sich in ferner Zukunft der Geldwert halbieren könnte, wird sie schon heute Maßnahmen dagegen ergreifen, die dann auch schon heute zu dem eigentlich erst für die Zukunft erwarteten Kaufkraftverlust führen. Das heißt, die tatsächliche Inflationsentwicklung wird einzig und allein von den Inflationserwartungen bestimmt. 

Die Zentralbanken haben somit die Aufgabe, das Vertrauen der Bevölkerung in die Geldwertstabilität zu bewahren und die Erwartungen an einen stabilen Geldwert zu managen. Heutzutage wird weltweit Geldwertstabilität sinnvollerweise als ein Kaufkraftverlust von 2 Prozent pro Jahr definiert.  

Inflationserwartungen als überlegenes Prognoseinstrument

Natürlich wirken jederzeit unerwartete Schocks auf die Inflationsrate ein, sodass sich die Inflation von den Inflationserwartungen abkoppeln kann. Bleiben die Inflationserwartungen jedoch stabil, wird die tatsächliche Inflation immer wieder zu ihren alten Werten zurückkehren.

Inflationserwartungen sind tatsächlich das bessere Prognoseinstrument
Beispiel USA: Inflationsswaps in fünf Jahren für fünf Jahre in % (ohne Risikoprämie)

Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand 31.10.2021

Hätte die US-Notenbank also ihre Geldpolitik nicht an ihren eigenen Inflationsprognosen ausgerichtet, sondern an den Inflationserwartungen, hätte sie kaum ab Ende 2015 den Leitzins in mehreren Schritten angehoben – denn die Inflationserwartungen signalisierten schon seit Ende 2014 ein strukturelles Niedriginflationsumfeld. Die Fed verfolgte damit eine zu restriktive Geldpolitik, was eine zu niedrige Inflation zur Folge hatte. 

Das aktuelle Bild am Inflationsmarkt: Hohe Inflationsraten nur vorübergehend?

Die Wirtschaftsakteure erwarten, dass die derzeit hohen Inflationsraten nur ein vorübergehender Inflationsbuckel sind. Strukturell wird damit gerechnet, dass die Inflation wieder etwa auf 0,5 Prozentpunkte unter das Inflationsziel der beiden Zentralbanken fallen wird – was im Endeffekt eine Rückkehr in das Niedriginflationsumfeld von 2009 bis 2019 wäre. 

In Großbritannien liegen die Inflationserwartungen über dem Inflationsziel – in den USA und der Eurozone dagegen darunter
Erwartete mittelfristige Abweichung der Inflation vom Inflationsziel der Zentralbanken*

Quellen: Bloomberg, Metzler; Stand 9.12.2021

* Auf Basis der Inflations-Swaprate in fünf Jahren für fünf Jahre ohne Risikoprämie

Natürlich müssen die Inflationserwartungen im Kontext der erwarteten Geldpolitik betrachtet werden. So preisen die Finanzmarktakteure für 2022 Leitzinserhöhungen ein – und zwar 66 Basispunkte für die Fed und etwa 15 Basispunkte für die EZB. Damit scheinen sie zu erwarten, dass sich die beiden Zentralbanken dem Druck der Öffentlichkeit beugen werden – mit dem Ziel, ihre Glaubwürdigkeit als Hüter der Preisstabilität zu behaupten. In den USA ist sogar eine enge Korrelation zwischen steigenden Inflationsraten und einer fallenden Zustimmungsrate für Präsident Joe Biden zu beobachten, sodass die US-Notenbank auch politisch unter Druck steht, die Inflation bis zu den Wahlen im Herbst wieder unter Kontrolle zu bringen.

Die Finanzmarktakteure erwarten Leitzinserhöhungen von den drei großen Zentralbanken
Erwartete Leitzinserhöhungen in 2022 auf OIS-Forwards in Basispunkten

Quellen: Bloomberg, Metzler; Stand 17.11.2021

Im Gegensatz zu den Erwartungen der Finanzmarktakteure sehen wir in unserem Basisszenario für 2022 nur zwei Leitzinserhöhungen der US-Notenbank im März und im Juni – und keine Leitzinserhöhung der EZB. Damit würde auch die Chance bestehen, dass sich die mittelfristigen Inflationserwartungen wieder in Richtung der Inflationsziele beider Zentralbanken bewegen.

Das Risiko einer hohen Inflation nicht unterschätzen

Es besteht aber durchaus das Risiko, dass die Finanzmarktakteure die Inflationsrisiken erheblich unterschätzen, da sie einfach die niedrige Inflation der vergangenen zehn Jahre in die Zukunft fortschreiben. 

Erst kürzlich haben wir die Wahrscheinlichkeit für das Szenario einer hohen globalen Inflation von bisher 30 auf 45 Prozent angehoben. Den Ursprung einer hohen Inflation sehen wir in den USA – von dort aus könnte sie sich über einen starken US-Dollar global ausbreiten. Auffallend sind hierbei die Parallelen zu den realwirtschaftlichen Entwicklungen in Deutschland nach der Wiedervereinigung.

Am Tag der deutschen Währungsunion – dem 1. Juli 1990 – konnten alle DDR-Bürgerinnen und -Bürger ihr Bargeld und ihre Spareinlagen von „Ostmark“ in D-Mark umtauschen. An diesem Tag stieg die Bevölkerung im D-Mark-Raum von etwa 62 Mio. auf etwa 78 Mio. – ein Anstieg um etwa 25 Prozent. Die Geldmenge M3 in Deutschland stieg um etwa 20 Prozent.

Erstaunliche Parallelen zwischen der Geldmengenentwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung und während der Pandemie
Geldmenge in % ggü. Vj.
Erstaunliche Parallelen zwischen der Geldmengenentwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung und während der Pandemie
Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand 31.10.2021

Interessanterweise wuchs in den USA in der Pandemie die Geldmenge M2 aufgrund der umfangreichen staatlichen Finanzhilfen für die Bevölkerung und die Unter-nehmen sogar um 25 Prozent. Die US-Bevölkerung, vor allem in den unteren Einkommensgruppen, wurde also ausreichend mit Geld versorgt, um die wirtschaftlichen Härten der Pandemie vor dem Hintergrund der niedrigen Ersparnisse abzufedern. In der Eurozone stieg die Geldmenge M3 dagegen nur um knapp 12 Prozent, da die europäischen Staaten deutlich weniger Finanzhilfen bereitstellten.

Noch überraschender: Parallelen bei der Inflationsentwicklung

Personen mit einem niedrigen Einkommen haben in der Regel eine hohe Konsum- und eine niedrige Sparneigung. Dementsprechend war der Konsum in Deutschland in den Jahren nach der Währungsunion hoch, da es den neuen Bundesbürgern an vielen Konsumgütern fehlte. Dem hohen Geldmengenwachstum folgten also ein Nachfrageschock und eine hohe Inflation von bis zu 6,2 Prozent im März 1992. Eine ähnliche Entwicklung ist derzeit auch in den USA zu beobachten, da den unteren Einkommensgruppen nun mehr Geldmittel für den Konsum zur Verfügung stehen. So stiegen die Einzelhandelsumsätze im November um 18,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor diesem Hintergrund beschleunigte sich in den USA zuletzt auch die Inflation, und zwar nach einem Muster, das sich fast mit der damaligen Inflationsentwicklung in Deutschland deckt.

Die Inflationsparallelen sind sogar noch erstaunlicher
Inflation in % ggü. Vj.
Die Inflationsparallelen sind sogar noch erstaunlicher
Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand 31.10.2021

Damals erwies sich die Inflation in Deutschland interessanterweise als sehr persistent: Noch im Dezember 1993 – also mehr als ein Jahr nach dem Hochpunkt – lag die Inflationsrate immer noch bei 4,3 Prozent. Erst im März 1995 fiel sie wieder auf unter 2,0 Prozent. Das könnte ein Warnsignal für die Inflationsentwicklung in den USA sein, zumal das Geldmengenwachstum dort aktuell immer noch höher ist als damals in Deutschland.

Bundesbank war als Feuerwehr gefordert

Die Bundesbank musste damals den Leitzins bis auf 8,75 Prozent im Juli 1992 anheben, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Denn hat sich erst einmal eine Inflationspsychologie in der Bevölkerung verfestigt, bleibt der Zentralbank kaum eine andere Wahl, als den Leitzins auf ein Niveau oberhalb der Inflationsrate zu setzen, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. 

Vor diesem Hintergrund könnten 2022 die Zentralbanken gezwungen sein, die Leitzinsen deutlich stärker anzuheben als allgemein erwartet. In unserem Risikoszenario sehen wir Leitzinserhöhungen von 1,5 Prozentpunkten in den USA und von 0,75 Prozentpunkten in der Eurozone.

Oft sind vor großen Erdbeben schon Vorbeben an etwas anderer Stelle zu beobachten. Daher lohnt sich der Blick auf Volkswirtschaften in vergleichbarer Situation. So hob beispielsweise die tschechische Zentralbank bei einer Inflationsrate von 6,0 Prozent im November den Leitzins zwischen Juni und Dezember um 3,5 Prozentpunkte an. Der Leitzins beträgt nun 3,75 Prozent, während die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen bei etwa 2,6 Prozent handelt. Die stark inverse Kurve signalisiert somit eine Rezession in der Tschechischen Republik in den kommenden Monaten. Als nächstes Land könnte Großbritannien in eine vergleichbare Lage kommen – gefolgt von den USA.

Ist die Weltwirtschaft wirklich zu fragil, um höhere Leitzinsen zu verkraften?

Die derzeit extrem niedrigen Renditen zehnjähriger Staatsanleihen und die mittelfristig niedrigen Inflationserwartungen können auch dahingehend interpretiert werden, dass die Wirtschaftsakteure aufgrund der hohen globalen Verschuldung glauben, schon moderate Leitzinserhöhungen könnten die entwickelten Volkswirtschaften aus der Bahn werfen. In einer Rezession müssten die Zentralbanken den Leitzins dann wieder schnell senken, und die Inflation fällt typischerweise wieder merklich – wie wahrscheinlich bald in der Tschechischen Republik zu beobachten. 

Der Anleihemarkt preist also ein Szenario, in dem die Zentralbanken entweder den Leitzins nur geringfügig anheben oder aber die Leitzinsen aggressiv erhöhen werden, und dann infolge der daraus resultierenden Rezession schnell wieder zu Leitzinssenkungen übergehen müssen.

Die Risiken merklich steigender Leitzinsen – eines Zinsschocks – sollten nicht unterschätzt werden. Die Bilanzen des privaten Sektors sind in vielen westlichen Volkswirtschaften in einer guten Verfassung, und die Zinslast ist äußerst niedrig. Leitzinserhöhungen dürften damit den privaten Sektor nicht so schnell bremsen. Auch bedeuten höhere Leitzinsen, dass die Zinslast der Staaten steigt und daraus ein positiver Einkommenseffekt im privaten Sektor resultiert.

Wir teilen daher den Pessimismus der Finanzmarktakteure nicht und sehen einen anhaltenden Aufschwung auch bei merklich höheren Leitzinsen. 

Zusammenfassung: Der vierarmige Volkswirt

Einerseits habe ich hergeleitet, dass die Inflationsrisiken aufgrund der derzeit vorherrschenden moderaten Inflationserwartungen niedrig sind. Andererseits habe ich vor dem Risiko eines Stimmungsumschwungs und damit verbunden vor hohen Inflationsraten gewarnt. Erwartungen und fundamentale Entwicklungen beeinflussen sich nämlich in einem Wechselspiel gegenseitig; Inflationsüberraschungen können somit durchaus auch die Erwartungen beeinflussen.

Wie passt nun alles zusammen? Im Endeffekt bleibt nur übrig, in Szenarien zu denken und diesen subjektive Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Insgesamt haben wir vier mögliche Szenarien identifiziert: 

  • Keine Leitzinserhöhung der EZB und allenfalls nur eine Leitzinserhöhung der Fed. Üppige Liquidität bei anhaltendem Aufschwung.
    Eintrittswahrscheinlichkeit: Basisszenario – 45 %
  • Inflationserwartungen steigen über das Inflationsziel; Zentralbanken reagieren aber nicht darauf. Fallende Realzinsen.
    Eintrittswahrscheinlichkeit: Risikoszenario 1 – 15 % 
  • Inflationserwartungen steigen über das Inflationsziel; Zentralbanken reagieren darauf mit aggressiven Leitzinserhöhungen. Steigende Realzinsen.
    Eintrittswahrscheinlichkeit: Risikoszenario 2 – 30 % 
  • Zentralbanken heben den Leitzins im Einklang mit den Markterwartungen an. Überraschend rapider Rückgang der Inflation wäre die Folge.
    Eintrittswahrscheinlichkeit: Marktszenario – 10 %

Die Implikationen für die Finanzmärkte leiten wir im zweiten Teil der Publikation ab.


Anhang

Zwei theoretische Beispiele zur Bedeutung der Erwartungen1

  1. Eine Zentralbank flutet plötzlich die Finanzmärkte mit gigantischer Liquidität über ein QE-Programm, signalisiert aber eine sofortige Liquiditätsreduktion, sobald die Inflationsrate 2 Prozent erreicht.

    In diesem Beispiel werden die Wirtschaftsakteure die Liquidität nicht anfassen, um Finanzwerte zu kaufen oder um in die Realwirtschaft zu investieren, da sie befürchten müssen, dass – sobald ihre Investitionen erste Erfolge zeigen – die Liquidität wieder entzogen wird und Verluste entstehen. Das QE-Programm verpufft also wirkungslos.
     
  2. Die Regierung des Landes ersetzt die Führung der Zentralbank mit einem neuen Team aus einem Hochinflationsland. Dieses neue Team beschließt, dass erst in einem Jahr die Liquidität expandiert wird und dass erst dann ein Inflationsziel von 500 Prozent verfolgt wird. Dazu werden (mit neu gedrucktem Geld) so viele Vermögenswerte aus der ganzen Welt aufgekauft, wie nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen. Die Gehälter des Führungsteams sind direkt an die Gewinne der Zentralbank aus dem Drucken des neuen Geldes gekoppelt. 

    Im zweiten Beispiel macht die Zentralbank nichts, aber beeinflusst die Erwartungen so, dass wahrscheinlich die Bevölkerung sofort versuchen wird, ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Die Währung dürfte somit sofort dramatisch abwerten und die Inflation sofort merklich steigen. 

Welche Inflationserwartungen sind die richtigen?

Die Inflationserwartungen sollten idealerweise die Erwartung der Wirtschaftsakteure widerspiegeln, ob die Reaktion der Zentralbank auf das derzeitige Inflationsumfeld ausreichend ist, um die Inflation mittelfristig in Richtung des gewünschten Niveaus – in der Regel von 2 Prozent – zu steuern. Hierfür bieten sich Inflationsswaps an, da sie immer die gleiche Laufzeit haben – im Gegensatz zu inflationsgeschützten Staatsanleihen, die nur unregelmäßig emittiert werden.

Auch bietet es sich an, auf die erwartete Inflation in fünf Jahren über die dann folgenden fünf Jahre zu schauen, da aktuelle Rohstoffpreisentwicklungen dabei keine Rolle mehr spielen, sondern nur noch die Erwartungen an die Ausrichtung der Geldpolitik. Leider beinhalten die Inflationsswaps wie auch die Break-even-Inflationsraten von Staatsanleihen nicht nur die Inflationserwartungen, sondern auch eine Risikoprämie. Die Risikoprämie lässt sich jedoch nur mithilfe von statistischen Verfahren schätzen, die natürlich immer auch ihre Schwächen haben. 

Aus: Scott Sumner (2021): The Money Illusion

Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management
Edgar Walk

Chefvolkswirt , Metzler Asset Management

Edgar Walk arbeitet seit 2000 bei Metzler. Als Chefvolkswirt im Bereich Asset Management ist er für die volkswirtschaftlichen Prognosen verantwortlich. Aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit dem Portfoliomanagement liegt sein Fokus neben der volkswirtschaftlichen Analyse verstärkt auf Kapitalmarktthemen. Vor seiner Anstellung bei Metzler studierte Herr Walk in Tübingen Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Regionalstudien Ostasien und Japan. Zur Vertiefung seiner Studien verbrachte er ein Auslandssemester an der Doshisha-Universität in Kyoto (Japan). Am Institut für Weltwirtschaft in Kiel absolvierte er anschließend den Aufbaustudiengang „Advanced Studies in International Economic Policy Research“.

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