Lehrbuch und Realität: Inflationsdebatte in unterschiedlichen Welten
Blasse Theorie …
In den Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre steht in der Regel geschrieben, dass heute auf Konsum verzichtet werden muss, damit die notwendigen Ersparnisse entstehen, um damit Investitionen finanzieren zu können. Oft wird dabei das Beispiel von Robinson Crusoe herangezogen, der auf seiner einsamen Insel Weizen anbaut und zur Erntezeit entscheiden muss, wie viele Weizenkörner er konsumiert und wie viele er wieder sät. In diesem „Modell“ wird jedoch komplett der Finanzsektor ausgeblendet, was zu falschen Schlussfolgerungen führt.
… und handfeste Praxis
Tatsächlich schaffen in unserem Wirtschaftssystem die Investitionen die für ihre Finanzierung notwendigen Ersparnisse selbst. Das hängt damit zusammen, dass Banken in einem ersten Schritt erst den Kredit zur Finanzierung der Investition vergeben und dann in einem zweiten Schritt die entsprechende Bankeinlage schaffen. Das infolge der Kreditvergabe geschaffene neue Geld verwenden die Unternehmen, um die Investitionen zu bezahlen. Das Geld zirkuliert dann so lange in der Volkswirtschaft, bis es gespart wird. Investitionen und Ersparnisse sind dann wieder im Einklang.
Wechselspiel zwischen Investitionen und Ersparnissen als Indikator für Inflationsrisiken
Hyman P. Minsky beschrieb diesen Zusammenhang schon in den 1960er-Jahren, um den damaligen Anstieg der Inflation zu erklären:
„(…) Steigende Investitionen erzeugen ihre eigenen Ersparnisse. Während der 1950er Jahre, als ein Investitionsboom stattfand, standen dem hohe staatliche Sparmaßnahmen entgegen. Die Finanzpolitik war damals noch sehr konservativ. In den 1960er Jahren stiegen die Staatsausgaben aufgrund, moderner keynesianischer‘ Ideen und eines ,zufälligen Kriegs‘ deutlich schneller als die Staatseinnahmen, als dann auch noch die privaten Investitionen ,explodierten‘. Laut Nicholas Kaldor ist die Neigung der Unternehmen, aus den Gewinnen zu sparen, größer als die Neigung der privaten Haushalte, aus dem verfügbaren Einkommen zu sparen. Das bedeutet, dass sich in einem Investitionsboom bei gleichzeitig hohen Staatsdefiziten die Einkommensverteilung immer dann in Richtung der Unternehmensgewinne verschiebt, wenn die Ersparnisse zur Finanzierung der Investitionen nicht durch staatliche Sparmaßnahmen, sondern im privaten Sektor generiert werden müssen. Ein Weg, wie diese Veränderung der Einkommensverteilung stattfinden kann, ist die Inflation. Ein Anstieg der Preise, der über den Anstieg der Geldlöhne hinausgeht, senkt die Reallöhne. Dieses klassische Inflationsmuster, bei dem die Ersparnisbildung durch steigende Preise erzwungen wird, war im Jahr 1966 zu beobachten und ist ein Element des anhaltenden Preisdrucks im Jahr 1967. Somit ,verschlechtert‘ sich nicht nur die ,klassische‘ (Löhne und Gewinne) Einkommensverteilung während eines Investitionsbooms, sondern die Verschlechterung ist auch mit einer politisch nicht vertretbaren Inflation verbunden (…).“
Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein Zusammenspiel von hohen Budgetdefiziten mit gleichzeitig hohen Unternehmensinvestitionen ein hohes Inflationsrisiko birgt, weil die Ersparnisse in einer Volkswirtschaft zwangsläufig steigen müssen, um die Investitionen finanzieren zu können. Der hohe Nachfragedruck ermöglicht es den Unternehmen, die Preise anzuheben und somit die Unternehmensgewinne zu steigern, die dann überwiegend gespart werden. Investitionen und Ersparnisse sind wieder im Einklang.
Globalisierung des Handels heute macht den wesentlichen Unterschied zu den 1960er-Jahren aus
Der große Unterschied zu den 1960er-Jahren ist jedoch die Globalisierung. So besteht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der hohe Nachfragedruck nicht in höheren Preisen in den USA niederschlägt, sondern in höheren Importen. Die notwendigen Ersparnisse kommen also aus dem Ausland. Die Leistungsbilanz dürfte sich somit in den USA 2021 massiv verschlechtern, weil ein Wirtschaftswachstum von 6,0 % bis 7,5 % in den USA in diesem Jahr durchaus realistisch erscheint. Wenn jedoch auch im Rest der Welt die Produktionskapazitäten wieder zunehmend besser ausgelastet sein sollten, könnte es zu merklich höheren Inflationsraten in den USA und in der übrigen Welt kommen. Schon im Februar überraschten die US-Importpreise mit einem starken Anstieg von 3,0 % gegenüber dem Vorjahr. In der kommenden Woche werden vor diesem Hintergrund die US-Erzeugerpreise (Freitag) im Fokus des Interesses stehen. Ähnliches gilt aber auch für die Frage, ob der chinesische Exportboom nicht auch zunehmend Spuren in den inländischen Konsumentenpreisen hinterlässt (Freitag). Nach wie vor würden wir dem Szenario einer höheren Inflation in den USA eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 30 % bis 40 % beimessen.
USA stehen am Anfang eines Wirtschaftsbooms
Laut Google-Daten nahm die Mobilität der US-Bürger in den vergangenen Wochen erheblich zu. Das ist umso bemerkenswerter, als seit Beginn der Pandemie eine sehr hohe Korrelation zwischen Mobilität und Wirtschaftswachstum zu beobachten ist. Das heißt: Schon jetzt zeichnet sich in den USA ein Wirtschaftsboom ab, der einen globalen Importsog nach sich ziehen wird: Die neuesten Daten zur US-Handelsbilanz (Mittwoch) sind daher von besonderem Interesse. Vom Wirtschaftsaufschwung werden in Europa vor allem die deutschen Exportunternehmen profitieren, aber weniger die französische Industrie, was sich auch schon in den neuesten Zahlen zu den deutschen Auftragseingängen (Donnerstag) sowie zur Industrieproduktion in Deutschland und Frankreich (jeweils Freitag) andeuten könnte.
Dienstleistungssektor spielt entscheidende Rolle beim Inflationsausblick
In den Warenkorb zur Berechnung des Konsumentenpreisindex in den USA gehen Dienstleistungen zu mehr als 60 % ein. In der Eurozone teilt sich der Warenkorb auf in etwa 45 % Dienstleistungen, 37 % Güter und etwa 18 % Energie und Lebensmittel. In beiden Regionen haben also die Preise im Dienstleistungssektor den größten Einfluss auf die Inflationsentwicklung. Der anhaltende Lockdown in der Eurozone bedeutet, dass der Dienstleistungssektor (Einkaufsmanagerindex, Mittwoch) weiter leidet und hier kein Preisdruck droht. In den USA ist dagegen die Pandemie weitestgehend unter Kontrolle, und die schon erwähnte hohe Mobilität der US-Bürger zeigt, dass der Dienstleistungssektor langsam wieder Fahrt aufnimmt (Einkaufsmanagerindex, Montag). Zuletzt gab es jedoch wieder Warnungen in den USA vor einer vierten Welle. Die Zahl der Neuinfektionen wird daher in der kommenden Woche wieder verstärkt im Fokus stehen. Wenn die Neuinfektionen niedrig bleiben sollten, wird es spannend zu sehen sein, inwieweit die Unternehmen ihre Preise nach der Pandemie anpassen werden.
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