Der rätselhafte Rückgang des US-Realzinses
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In einer idealtypischen Volkswirtschaft bringt der Realzins die Ersparnisse der privaten Haushalte ins Gleichgewicht mit den Investitionsabsichten der Unternehmen. In einer Aufschwungphase steigt dann der Realzins, da die privaten Haushalte weniger sparen und die Unternehmen wieder mehr investieren.
Seit Mitte März ist jedoch ein Rückgang der realen Rendite 10-jähriger inflationsgeschützter US-Staatsanleihen auf etwa -1,0 % zu beobachten.
Vor dem Hintergrund der Bloomberg-Consensus-Prognose für das Wirtschaftswachstum von 6,6 % in diesem Jahr und von 4,1 % im Jahr 2022 ist dieser Rückgang rätselhaft. Früher galt nämlich die Faustregel, dass die reale Rendite mittelfristig dem realen Wirtschaftswachstum entsprechen sollte. Eine Bewegung der realen Rendite in Richtung des Wirtschaftswachstums wäre daher eigentlich nur normal, zumal auch für den Staat als großem Kreditnehmer ein Budgetdefizit von 14,5 % des BIP in diesem Jahr erwartet wird. Da es sich um einen fallenden Trend über mehrere Monate handelt, ist eine einseitige Positionierung der Finanzmarktakteure als mögliche Erklärung eher unwahrscheinlich.
Das Sinken der realen Rendite signalisiert somit, dass seit März entweder die privaten Ersparnisse gestiegen sind und/oder die private Kreditnachfrage geringer geworden ist. Das erinnert an das Szenario der „japanischen Verhältnisse“: In Japan sind die Unternehmen schon seit 30 Jahren kaum mehr bereit, ihre Investitionen zu erhöhen. Eine strukturell schwache private Nachfrage sorgt für Stagnation und niedrige Inflation. Derzeit zeigen jedoch Umfragen eine hohe Investitionsbereitschaft der Unternehmen – etwa die der Philadelphia Fed (Donnerstag). Hat diese im Juli merklich nachgelassen?
Für den Ausblick gibt es also nun zwei Szenarien:
- Sollte es tatsächlich eine strukturell schwache private Nachfrage in den USA geben, wären die Wachstumsprognosen viel zu hoch. Ein Risikofaktor hierfür ist auch der US-Konsument, der schon seine Steuerschecks ausgegeben hat und nun eine strukturell höhere Sparquote anstreben könnte. Die Einzelhandelsumsätze (Freitag) dürften einen wichtigen Einblick in die aktuelle Konsumdynamik geben.
- Möglicherweise haben nur temporäre Faktoren wie das geringe Emissionsvolumen von US-Staatsanleihen in den vergangenen Wochen zum Renditerückgang beigetragen. In diesem Fall würde im Herbst ein deutlicher Renditeanstieg drohen.
Ich halte es kaum für wahrscheinlich, ein Szenario der „japanischen Verhältnisse“ in den USA zu sehen. Erst die kommenden Monate werden jedoch zeigen, ob die private Nachfrage in den USA robust bleibt.
US-Inflationsrisiken wurden fast vollständig ausgepreist
Seit Mai ist auch ein Rückgang der US-Break-even-Inflationsrate zu beobachten. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Renditedifferenz zwischen einer nominalen und einer inflationsgeschützten Staatsanleihe – und das ist die Break-even-Inflationsrate – gleichzeitig die Inflationserwartungen und eine Inflationsrisikoprämie enthält. Der Rückgang der Break-even-Inflationsrate ist unserer Einschätzung zufolge darauf zurückzuführen, dass die Inflationsrisikoprämie gesunken ist.
Dabei bestehen nach wie vor große Inflationsrisiken. Kleinere und mittlere Unternehmen hatten bisher ziemliche Probleme, offene Stellen zu besetzen, und waren daher bereit, zunehmend höhere Löhne zu zahlen. Der NFIB-Geschäftsklimaindex (Dienstag) wird zeigen, ob sich dieser Trend im Juli fortgesetzt hat. Die Perspektive auf höhere Löhne könnte auch zu höheren Inflationserwartungen der privaten Haushalte beitragen (landesweite Umfrage der New York, Montag), zumal die tatsächliche Inflation (Dienstag) einmal mehr überraschen dürfte. Laut der Big-Data-Analyse der UBS droht ein Anstieg der Kerninflation von 0,6 % bis 0,7 % zum Vormonat. Zum Vergleich: Die Mehrheit der Volkswirte erwartet derzeit laut Bloomberg nur einen Anstieg von 0,4 %.
Es ist wirklich rätselhaft, warum in der Break-even-Inflationsrate keine höhere Inflationsrisikoprämie eingepreist ist. Vielleicht ist das Vertrauen in eine merklich fallende Inflation im kommenden Jahr so hoch, dass keine Risiken mehr gesehen werden.
Stagflation in den USA denkbar, aber unwahrscheinlich
Eine hohe Sparneigung der privaten Haushalte und eine gedämpfte Investitionsnachfrage der Unternehmen würden in diesem Szenario für Wachstumsenttäuschungen in den kommenden Quartalen sorgen. Das Wachstum wäre aber gerade noch so hoch, dass die Unternehmen anhaltend Probleme hätten, Arbeitskräfte zu finden und höhere Löhne bezahlen müssten. Die Folge wäre ein Stagflationsszenario. Der Realzins signalisiert das schon jetzt, während die Break-even-Inflationsrate immer noch die Erwartung an ein durchschnittliches Inflationsumfeld widerspiegelt.
Ein Stagflationsszenario ist denkbar, aber doch sehr unwahrscheinlich. Solange die Unternehmen dynamisch investieren, solange wird es einen dynamischen Aufschwung geben. Anzeichen für eine Investitionsschwäche gibt es bislang noch nicht.
China: Konjunkturelle Schwierigkeiten
Die chinesische Regierung ist anscheinend bei ihren Bemühungen, die Verschuldung einzudämmen, zu stark auf die Bremse getreten.
Nach der großen Rezession 2009 feuerte die chinesische Wirtschaftspolitik noch aus allen Rohren, um die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Die Folgen waren eine hohe Verschuldung, ein Anstieg der Inflation auf 6,6 % im Jahr 2011 und damit verbunden soziale Unruhen. Diesen Fehler wollte die chinesische Wirtschaftspolitik dieses Mal offenbar unter allen Umständen vermeiden.
Der Rückgang der Inflation von 1,2 % im Mai auf 1,1 % im Juni eröffnet der Regierung somit wieder Spielraum, die Konjunktur wieder zu stützen. So forderte die Regierung die chinesische Zentralbank schon in dieser Woche auf, die Geldpolitik unter anderem mit einer Verringerung des Mindestreservesatzes zu lockern. Die Regierung könnte auch insofern Handlungsbedarf gesehen haben, als wichtige Konjunkturdaten wie das BIP (Donnerstag), die Einzelhandelsumsätze (Freitag) und die Industrieproduktion (Freitag) auch im Juni schwach gewesen sein könnten.
Darüber hinaus werden noch im Laufe der Woche die Kreditdaten veröffentlicht. Interessanterweise reagieren die Finanzmärkte weltweit darauf, da daraus der Kreditimpuls abgeleitet wird – und der ist ein zuverlässiger Frühindikator für die chinesische Konjunktur.
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