Über den Mut, Gewinne auch mal liegen zu lassen
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Gerhard Wiesheu ist Vorstandssprecher im Bankhaus Metzler. Im Interview mit dem Handelsblatt erklärt er, warum der Erhalt der Substanz wichtiger ist als das Streben nach kurzfristig höheren Erträgen und warum es sich lohnt, auf Familienwerte zu setzen.
Herr Wiesheu, von den bedeutenden deutschen Privatbankhäusern ist nur Metzler in Familienbesitz geblieben. Warum gelang dieser Bank, woran die Bethmann Bank, Georg Hauck & Sohn und viele andere scheiterten?
Das ist eine Frage, über die ich angesichts unseres Jubiläums lange nachgedacht habe. Für die Langlebigkeit von Metzler sind glaube ich eine ganze Reihe von Faktoren verantwortlich. Einer der bedeutendsten: Der Erhalt der Substanz ist wichtiger als das Streben nach kurzfristig höheren Erträgen. Man muss den Mut haben, Gewinne liegen zu lassen, wenn man den Eindruck hat, dass die damit verbundenen Geschäftsideen zu riskant oder nicht nachhaltig sind.
Das klingt sehr sicherheitsorientiert, aber nicht besonders innovativ.
Da täuschen Sie sich, die Bank musste sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder neu erfinden und ohne diesen Veränderungswillen gäbe es Metzler heute vielleicht nicht mehr oder nicht in dieser Form. Ganz am Anfang stand 1674 eine Tuchhandlung. Im Herbst 2023 haben wir als erstes deutsches Finanzinstitut digitale Fondsanteile ausgegeben. Wertpapiere, die auf der Blockchain-Technik basieren, die auch hinter Kryptowährungen wie Bitcoin steht.
Zur Tradition bei Metzler gehört auch das Jahresergebnis, das immer präzise 2,3 Millionen Euro beträgt und als Dividende an die Familie ausgeschüttet wird.
Ganz genau, und der sehr viel größere Teil des Gewinns fließt in die Stärkung unserer Eigenmittel und stillen Reserven. Unser Ziel ist es nicht, die Eigenkapitalrendite zu optimieren. Wir steuern die Bank so, dass sie in keiner Sekunde gefährdet ist und sich kontinuierlich weiterentwickeln kann.
Ist dieses hehre Ziel denn realistisch in einer Ära, die durch multiple Krisen geprägt ist. Was passiert, wenn die Märkte einbrechen, weil die geopolitischen Spannungen eskalieren, oder den großen Notenbanken ein Fehler bei der anstehenden Zinswende unterläuft?
Metzler ist heute vor allem in der Vermögensverwaltung und im Beratungsgeschäft tätig, für das man keine große Bilanzsumme benötigt. Sollten die Märkte kollabieren, dann würden wir das zwar zu spüren bekommen, weil unsere Provisionseinnahmen fallen würden. Aber das Kapital und damit die Stabilität der Bank wären nicht gefährdet. Dieses Geschäftsmodell ist der Garant für unsere Unabhängigkeit, und die ist eines der höchsten Güter der Bank.
Aber auch bei Metzler ändern sich die Dinge. Sie sind der erste richtige Vorstandschef in der Geschichte der Bank. Lange wurde das Institut von persönlich haftenden Gesellschaftern geleitet. Nach der Umwandlung in eine AG 2021 hat Ihr Vorgänger Emmerich Müller den Vorstand als Primus inter Pares geführt. Warum jetzt der neue Titel?
Mit der Umwandlung in eine AG haben wir den Vorstand schrittweise auf sechs Köpfe erweitert und ihm eine neue, moderne Struktur gegeben. Dazu gehört dann eben auch der Titel eines Vorstandssprechers. Eines ist wichtig dabei: Die Kultur wird sich nicht ändern. Metzler ist und bleibt ein Familienunternehmen.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Wir haben das Glück, dass die Familie von Metzler sehr bodenständig ist und hundertprozentig hinter der Bank steht. Die Familie als stabiler Aktionär ist einer der wesentlichen Faktoren, warum es das Unternehmen heute noch in dieser Form gibt. Mit einer Familie als Eigentümer lässt sich sehr viel längerfristig planen und arbeiten als in einem Unternehmen, das dem schnellen Rhythmus der Kapitalmärkte gehorchen muss. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Pension-Management-Geschäft, das wir über rund 20 Jahre geduldig aufgebaut haben.
Vieles spricht dafür, dass ein Familienmitglied in absehbarer Zeit auch wieder die operative Führung der Bank übernehmen wird. Mit Franz von Metzler sitzt Ihr designierter Nachfolger bereits im Vorstand. Wie fühlt man sich als Platzhalter der Familie?
Als Vorstand arbeiten wir an einer Gemeinschaftsaufgabe. Im vergangenen Juli haben wir uns darangemacht, die Strategie für die kommenden fünf bis zehn Jahre festzuzurren. Im Oktober hat der Aufsichtsrat zugestimmt, und im November haben wir die Mitarbeiter informiert. Wir arbeiten als Team und Treuhänder der Bank dafür, dass die nächste Generation möglichst viel Freude an der Bank und das Haus weiter eine erfolgreiche Zukunft hat. Mir persönlich macht das sehr viel Spaß, und ich fühle mich in keiner Weise eingeschränkt.
Teil dieser Strategie ist ein Sparprogramm, ausgerechnet kurz vor dem Jubiläumsjahr kündigte Metzler an, dass bis 2028 rund zehn Prozent der rund 800 Stellen wegfallen werden.
Unsere neue Strategie ist kein Sparprogramm, sondern wir stellen die Weichen für künftiges Wachstum. Wir müssen uns auf die Zukunft vorbereiten. Der technische Fortschritt und dazu gehört auch die Künstliche Intelligenz wird grundlegend verändern, wie Banken arbeiten, etwa im BackOffice, also jenen Bereichen, die für die Abwicklung und die Dokumentation von Geschäften verantwortlich sind.
Aber das bedeutet doch, dass gespart wird und Stellen wegfallen.
Wir gehen davon aus, dass wir über das gesamte Bankhaus hinweg zehn Prozent der Stellen einsparen können. Viel wichtiger ist aber, dass wir neue Mitarbeiter in zukunftsträchtigen Feldern aufbauen, in denen wir geschäftliche Chancen sehen. Insgesamt wird die Zahl der Mitarbeiter wachsen, davon bin ich überzeugt. Der Abbau, den wir planen, wird sozialverträglich ablaufen, ohne Entlassungen. Wir werden dafür die natürliche Fluktuation nutzen, Altersteilzeitmodelle und Angebote, neue Aufgaben im Unternehmen zu übernehmen.
Wie sehen Sie denn die Geschäftsaussichten in diesem symbolträchtigen Jahr?
Das Geschäft ist gut angelaufen, schon zum Jahresanfang haben wir erfreuliche Zuflüsse im Private Banking und im Asset-Management gesehen.
2022 stieg das für die Bank entscheidende Provisionsergebnis leicht auf 194 Millionen Euro. Wie haben sich die Dinge seither entwickelt?
Wir haben unsere Zahlen für das vergangene Jahr noch nicht publiziert, sehen Sie es mir deshalb bitte nach, dass ich nicht in die Details gehe. Aber wir waren sehr zufrieden mit 2023, und 2024 wollen wir noch besser werden.
Die Familie muss sich also um ihre Dividende keine Sorgen machen?
Nein, das muss sie ganz sicher nicht.
Herr Wiesheu, vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel erschien am 26. Februar 2024 im Handelsblatt. Die Fragen stellte Michael Maisch.