Inflation: Böses Erwachen am US-Anleihemarkt wie damals in Griechenland?
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Unser ökonometrisches Prognosemodell hilft dabei, unser makroökonomisches Basisszenario mit unseren Annahmen für Wirtschaftswachstum, Inflation und Geldpolitik in eine Prognose für die Entwicklung der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen zu übersetzen.
Derzeit gehen wir davon aus, dass es nur zu einem vorübergehenden Inflationsschub weltweit in den nächsten Monaten kommt und die Inflationsraten im kommenden Jahr wieder sinken – wegen Basiseffekten, einer Angebotsreaktion der Rohstoffproduzenten und einer fehlenden Lohn-Preis-Spirale. Die Notenbanken könnten somit vorerst noch abwarten und dann im kommenden Jahr beginnen, die Geldpolitik langsam zu straffen. Dementsprechend signalisiert unser Prognosemodell für die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen einen nur sehr moderaten Aufwärtstrend.
Deflation ist kein ernsthaftes Alternativszenario …
Im aktuellen Umfeld fehlt mir die Fantasie, ein Szenario merklich fallender Renditen von Staatsanleihen herzuleiten. Die beginnende Öffnung der Wirtschaft in den USA und in Europa sowie die substanziellen fiskalischen und geldpolitischen Stimuli weltweit bedeuten, dass noch viel „gesamtwirtschaftliche Nachfrage“ für die kommenden Quartale in der Pipeline steckt. Die großen Wirtschaftsblöcke USA, China und Europa dürften somit höhere Wachstumsraten als ihr Potenzialwachstum verzeichnen, was einen Rückgang der Arbeitslosigkeit zur Folge haben dürfte. Ein starker ifo-Index (Dienstag) und ein starker Geschäftsklimaindex der EU-Kommission (Freitag) dürften dies eindrücklich untermauern. Nur ein großer Fehler in der Geldpolitik einer der großen Zentralbanken oder verfrühte staatliche Sparmaßnahmen könnten einen Umschwung von Inflation zu Deflation bewirken – dieses Szenario aber wäre vergleichbar mit einem Auto, das mit 200 km/h gegen eine Wand fährt. Die Finanzmärkte wären dann nämlich im Krisenmodus, die Finanzierungsbedingungen würden sich verschlechtern, es würde eine Konkurswelle entstehen und das Wachstum der Weltwirtschaft eine Vollbremsung machen.
… ein Zinsschock hingegen schon
In den vergangenen beiden Monaten überraschte die Inflation in den USA heftig. Der Anleihemarkt reagierte jedoch kaum darauf, und die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen handelte in einer engen Bandbreite auf niedrigem Niveau. Denn es ist derzeit das vorherrschende Narrativ, dass die Inflation spätestens im nächsten Jahr wieder spürbar fallen wird. Für die Finanzmarktakteure ist es also unvorstellbar, dass schon jetzt die Inflation außer Kontrolle geraten könnte.
Diese Situation ist nicht neu – sie lässt Parallelen zu den Entwicklungen in Griechenland in den Jahren 2009 und 2010 erkennen. Auch damals konnte sich lange Zeit niemand vorstellen, dass es in Griechenland jemals zu einer Staatspleite kommen könnte. Trotz anhaltend negativer Nachrichten über den Zustand der Staatsfinanzen blieb die Rendite 10-jähriger griechischer Staatsanleihen lange Zeit stabil. Im April 2010 änderte sich plötzlich die Einschätzung der Finanzmarktakteure, und die Rendite 10-jähriger griechischer Staatsanleihen stieg innerhalb weniger Tage um etwa 6 %-Punkte auf mehr als 12 %.
Sollte also die Inflation in den USA auch in den kommenden Monaten heftig überraschen und eine gefährliche Inflationsdynamik entstehen, könnte es zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Inflationsrisiken durch die Finanzmarktakteure kommen und zu einem großen Zinsschock. Ein Renditeanstieg 10-jähriger US-Staatsanleihen von 1 bis 2 %-Punkten wäre dann durchaus möglich. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass ein starker Fokus auf den US-Inflationsdaten (Freitag) und der Entwicklung des US-Konsums (Freitag) liegt. Der Vergleich mit Griechenland ist auch deshalb nicht abwegig, da sich Griechenland damals mithilfe eines Schuldenschnitts entschuldete, während die USA mithilfe einer höheren Inflation die Verschuldung abbauen würden.
Insgesamt ist dies jedoch nur ein extremes Szenario mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit aus meiner Sicht von etwa 20 %, das auch nur innerhalb der nächsten drei Monate wahrscheinlich ist, da dann der Inflationsdruck am stärksten sein sollte. Ein Zinsschock würde eine Deflation an den Finanzmärkten auslösen, wahrscheinlich ohne die Inflationsdynamik in der Realwirtschaft merklich zu bremsen. Das Bild der vergangenen zehn Jahre mit hohen Inflationsraten an den Finanzmärkten und niedrigen Inflationsraten in der Realwirtschaft würde sich dann umkehren.
Endlich gute Nachrichten aus Europa
Lange Zeit waren gute Nachrichten aus Europa nur mit der Lupe zu finden. Zuletzt hellte sich das Bild jedoch wieder etwas auf. So konnte die EU sogar die USA und Großbritannien beim Impftempo überholen und insgesamt große Fortschritte erzielen. Die Pandemie scheint nunmehr unter Kontrolle zu sein. Zudem hinkten europäische Unternehmen lange Zeit dem technologischen Wandel hinterher. Inzwischen scheinen viele europäische Unternehmen große Fortschritte beim Umbau ihrer Geschäftsmodelle erreicht zu haben – wie in der Elektrifizierung der Mobilität, in der Stromproduktion auf Basis alternativer Energiequellen etc. Der Umbau der Geschäftsmodelle könnte mithilfe des EU-Wiederaufbaufonds eine anhaltend hohe Dynamik entwickeln.
Griechenland prescht voran
Auf Länderebene scheint gerade Griechenland große Fortschritte zu machen. So hat die griechische Regierung einen detaillierten Plan vorgelegt, um den EU-Wiederaufbaufonds in vollem Umfang zu nutzen. Die erste Reaktion aus Brüssel darauf war sehr positiv. Griechenland wird eines der EU-Länder sein, das im Verhältnis zu seinem BIP am meisten von den verfügbaren Mitteln profitieren wird. Die Behörden wollen die EU-Mittel durch Kofinanzierung und PPP-Modelle vervielfachen, um so den Hebel zu vergrößern. Für die nächsten sechs Jahre wird Griechenland über eine beträchtliche neue Quelle für Investitionsmittel verfügen, die der Wirtschaft helfen könnte, sich in neue Sektoren zu diversifizieren und ihr langfristiges Wachstumspotenzial zu erhöhen.
Das Engagement der Regierung für Reformen dürfte stark bleiben – in Übereinstimmung mit ihrem Wahlmandat. Trotz der Pandemie gab es gute Fortschritte bei der Umsetzung der Reformen. Vieles wurde ins Visier genommen: Die Verbesserung des Geschäfts- und Investitionsumfelds, die Senkung der Steuerlast, die Anziehung von FDI (ausländischen Direktinvestitionen) und ausländischem Humankapital, die Verbesserung der Effizienz bürokratischer Abläufe und der Bürokratieabbau sowie eine wesentlich stärkere Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Als nächstes steht eine ehrgeizige Arbeitsmarktreform zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung an. Große Investitionsprojekte, die zum Teil jahrelang ins Stocken geraten waren, sind endlich angelaufen, darunter das Vorzeigeprojekt Hellenikon (Ausbau des Flughafengebiets).
Die griechischen Banken sind heute in einer viel besseren Verfassung als noch vor etwa zehn Jahren. Bis zum nächsten Jahr werden alle großen griechischen Banken eine einstellige NPL-Quote (notleidende Kredite) haben – ein enormer Fortschritt gegenüber einer Quote von 45 % noch vor wenigen Jahren. Die Einlagen sind während der Pandemie stark gewachsen. Neue NPLs aufgrund der Pandemie werden wahrscheinlich am unteren Ende der erwarteten Spanne liegen, eventuell sogar darunter. Die griechischen Banken haben jetzt vollen Zugang zur EZB-Finanzierung und auch vollen Marktzugang. Unserer Ansicht nach sind die griechischen Banken gut vorbereitet, um eine Schlüsselrolle bei der Erholung der griechischen Wirtschaft zu spielen.
Und nicht zuletzt ist Griechenland politisch stabil: Die Regierung ist in den Umfragen sehr beliebt, was darauf hindeutet, dass die Öffentlichkeit Politik und Reformen unterstützt – einschließlich der Art und Weise des Umgangs mit der Pandemie. Die nächste Wahl steht im Juni 2023 an.
Das ist der große Unterschied zu früher. Der Reformwille kommt von der Bevölkerung und wird dem Land nicht von außen (Troika) oktroyiert. Nur wenn Reformen von der Bevölkerung getragen werden, können sie dauerhaft erfolgreich sein. Der bemerkenswerte politische und wirtschaftliche Wandel in Griechenland spiegelt sich auch am Anleihemarkt wider. Laut Bloomberg könnte Griechenland mit einem Wachstum von 5,1 % im Jahr 2022 Platz 2 unter 34 Ländern in der Wachstumstabelle im kommenden Jahr erobern. Es gibt sogar schon Analysten, die mit einem Wachstum von etwa 6,0 % im kommenden Jahr rechnen.
Die Rendite einer 10-jährigen griechischen Staatsanleihe handelt derzeit bei nur etwa 1,0 % und liegt sogar unterhalb der Rendite italienischer Staatsanleihen. Auch ist eine abnehmende Preisfluktuation der griechischen Anleihen zu beobachten: Ihre Volatilität sank von 69 % im Jahr 2015 auf ein Jahrzehnttief von 3,8 % im Mai dieses Jahres, was in etwa der Volatilität von US-Staatsanleihen entspricht. Der verbesserte Ausblick ist nicht unbemerkt geblieben. S&P Global Ratings hob im vergangenen Monat das langfristige Kreditrating für Griechenland von BB- auf BB an. Weitere Upgrades könnten bald folgen.
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