„Was hat die EU jemals für uns getan…?“
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„Also mal abgesehen von der Medizin, den sanitären Einrichtungen, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?“ – Brians legendäre Ansprache (in Monty Pythons Komödie "Leben des Brian") erinnert zuweilen an die hierzulande verbreitete Einschätzung der Leistungen der Europäischen Union (EU).
In Deutschland wird über die EU oft so diskutiert, als ginge es um ein „abstraktes Projekt in Brüssel“. In Wahrheit geht es aber ganz konkret um unseren wirtschaftlichen Alltag, um Macht und Ohnmacht in einer Welt großer Blöcke – und um die Frage, ob wir unsere Probleme lieber vor der eigenen Haustür lösen oder gemeinschaftlich auf europäischer Ebene bekämpfen. Wer ehrlich bilanziert, kommt zu einem unbequemen Doppelbefund: Ja, die EU ist zu bürokratisch und politisch oft zu schwerfällig. Aber nein, ein Rückzug Deutschlands wäre keine Befreiung, sondern ein strategischer Fehler.
Die Nachteile: Eine EU, die sich zu oft selbst im Weg steht
Die Kritik an der EU hat einen harten Kern. Der Regelapparat ist groß, oft kleinteilig, und er erzeugt Kosten, die in Unternehmen und Verwaltungen wie Sand im Getriebe wirken. Dazu kommt ein deutsches Sonderthema: Wir setzen EU-Vorgaben nicht selten besonders eifrig, besonders früh und besonders streng um – der „Musterschüler“ macht aus mancher Regel ein Bürokratiemonster. Am Ende wirkt es dann so, als sei Urheber von allem „die EU“, obwohl ein Teil der Last in Wahrheit aus nationaler Übererfüllung stammt.
Auch politisch liefert die EU Angriffsfläche: Wenn gemeinsame Regeln (etwa Stabilitätskriterien) sichtbar gebrochen werden, ohne dass wirksame Sanktionen folgen, erodiert Vertrauen. Es entsteht der Eindruck, dass Regeln für manche gelten – und für andere nicht. Ebenso frustrierend ist nicht selten die Handlungsfähigkeit: Wenn einzelne Staaten zentrale Entscheidungen blockieren können, wird Europa in geopolitisch kritischen Momenten langsam – und Langsamkeit ist in einer Welt mit Russland, China und den USA ein echtes Risiko.
Hinzu kommen Gerechtigkeits- und Symbolfragen, die in der Bevölkerung haften bleiben: Deutschland als großer Nettozahler, Streit um nationale Vorhaben, die europarechtlich scheitern, zudem die Wahrnehmung, dass der „kleine Bürger“ bei großen Fragen zu wenig Einfluss hat. Kurz: Die EU hat nicht nur ein Kommunikationsproblem – sie hat ein Strukturproblem aus Komplexität, fehlender Durchsetzung und zu vielen Vetopunkten. Das ist keine Petitesse, sondern Reformbedarf.
Die Vorteile: Der unsichtbare Motor, der jeden Tag läuft
Und trotzdem gilt: Die Vorteile wiegen für Deutschland wirtschaftlich und strategisch schwerer. Das liegt vor allem am Binnenmarkt. Der Binnenmarkt ist nicht nur „Handel ohne Zölle“, sondern ein System gemeinsamer Standards, Zulassungen und Regeln, das Reibung reduziert. Für ein exportstarkes Land, dessen Industrie in europäischen Lieferketten organisiert ist, ist das keine Nebensache – es ist ein Wettbewerbsvorteil. Viele der Vorteile sind zwar unspektakulär: keine Schlagzeilen, keine Symbolbilder – aber sie sind da, weil alles funktioniert.
Noch wichtiger ist die zweite Dimension: Verhandlungsmacht. In einer Welt, in der große Akteure ihre Interessen zunehmend robust durchsetzen, ist ein einzelner Nationalstaat – selbst Deutschland – leichter zu unterdrücken als ein großer Verbund. Eine EU, die als Block auftritt, kann Handelsabkommen verhandeln, Standards setzen und sich in Konflikten behaupten. Eine „Entpolitisierung“ Europas klingt verführerisch („nur Binnenmarkt, sonst nichts“), übersieht aber den Kern: Wirtschaft ist längst geopolitisch. Wer glaubt, man könne den Markt vom Machtspiel trennen, hat die Gegenwart nicht verstanden. Die bisher abgeschlossenen Handelsabkommen der EU sind neben dem Binnenmarkt der größte Erfolg der EU.
Und ja: Es stimmt, dass Länder wie die Schweiz außerhalb der EU sehr erfolgreich sind. Aber das ist kein Gegenbeweis zum Konzept EU, sondern ein Indikator, worauf es wirklich ankommt: gute Standortpolitik, Investitionen, Bildung, effiziente Verwaltung, Verlässlichkeit. Die Schweiz zeigt, was möglich ist – sie zeigt aber auch, dass eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit der EU in der Praxis bedeutet, viele Regeln übernehmen zu müssen, wenn man Zugang zum Markt haben will. Souveränität bedeutet dann oft: Regeln befolgen, ohne sie mitzugestalten.
Die entscheidende Pointe: Deutschlands Hauptproblem sitzt nicht in Brüssel
Der stärkste, weil unbequemste Punkt der Debatte ist dieser: Deutschlands wirtschaftliche Schwäche ist überwiegend hausgemacht. Wer Infrastruktur und Bildung über Jahrzehnte zu knapp finanziert, wer Planungs- und Genehmigungsprozesse lähmt, wer digitale Modernisierung verschleppt und sich in nationaler Bürokratie verliert, der kann die EU zum Sündenbock machen – aber er löst damit kein Problem. Ein großer Teil der Misere entsteht nicht, weil Europa Deutschland knebelt, sondern weil Deutschland seine eigenen Stärken nicht konsequent pflegt.
Die EU trägt ihren Teil bei – etwa durch Überregulierung und komplizierte Prozesse. Aber der Hebel, der am meisten bewegt, liegt weiterhin in nationaler Hand. Das ist der Grund, warum die EU-Debatte häufig schiefläuft: Sie wird als Ja/Nein-Frage geführt, obwohl die eigentliche Frage lautet: Wie reformieren wir Deutschland – und wie reformieren wir Europa so, dass es handlungsfähig bleibt?
Fazit: Reformieren, nicht romantisieren - aber erst recht nicht verlassen
Man kann die EU kritisieren, ohne sie kleinzureden. Und man kann die EU verteidigen, ohne sie zu verklären. Wer heute ernsthaft über Deutschlands Zukunft nachdenkt, sollte sich von zwei Illusionen verabschieden:
Die Illusion der einfachen Befreiung. Weniger EU hieße nicht automatisch weniger Bürokratie, mehr Wohlstand und mehr Kontrolle. Für Deutschland hieße es vor allem: mehr Reibung, mehr Neuverhandlungen, mehr Unsicherheit – und weniger Einfluss.
Die Illusion des Weiter-so: Die EU ist reformbedürftig, und zwar dringend. Ein Europa, das an Vetos erstickt und Regeln nicht durchsetzt, verliert Vertrauen nach innen und Gewicht nach außen.
Die einzig überzeugende Position ist daher eine anspruchsvolle: proeuropäisch aus Interesse, nicht aus Romantik – und reformorientiert aus Notwendigkeit, nicht aus Ideologie. Deutschland braucht die EU nicht, weil sie perfekt ist, sondern weil die Alternative in einer blockorganisierten Welt schlechter ist. Und die EU braucht Deutschland nicht als Musterschüler, sondern als Motor für Reformen: weniger Komplexität, mehr Durchsetzung, mehr Handlungsfähigkeit – und eine Politik, die wieder sichtbarer macht, was Europa jeden Tag leistet.
Wenn wir das zukünftig nicht ändern, passiert das, was immer passiert: Die Nachteile bleiben sichtbar, die Vorteile werden als selbstverständlich abgetan – bis man sie verliert und erst dann merkt, was man hatte. Diese Erfahrung muss Großbritannien machen, dass laut neuesten wissenschaftlichen Studien einen merklich größeren Wohlstandsverlust durch den Brexit erlitt als zum Beispiel durch die Finanzmarktkrise 2008/09.
Konjunkturdaten in der Weihnachtswoche
In den USA werden am Dienstag endlich die Daten für das BIP im dritten Quartal veröffentlicht. Die Chancen für ein Wachstum von über 3,0 Prozent stehen gut – der Wachstumsmotor ist dabei die KI-Investitionen. Am selben Tag wird der Indikator des Konsumentenvertrauens zeigen, wie die privaten Haushalte die Lage am Arbeitsmarkt einschätzen – zuletzt waren die Konsumenten eher pessimistisch.
Am Freitag kommen dann zahlreiche wichtige Daten aus Japan. Die Inflation aus dem Großraum Tokyo hat sich zuletzt bei etwa 3,0 Prozent eingependelt, was stark negative Realzinsen impliziert. Darüber hinaus dürfte die Wirtschaft real mit etwa 1,0 Prozent wachsen, was mit guten Konjunkturdaten im Einklang stehen dürfte: Arbeitslosenquote, Einzelhandelsumsätze und Industrieproduktion.
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