Cookies

We use cookies in order to provide you with an optimal website experience. These include cookies that are technically or legally necessary for operating our site and controlling our commercial business objectives as well as cookies that are used for anonymous statistical purposes, monitoring comfort settings or displaying personalized content. The decision as to which types of cookies to allow is up to you. Please note that, based on your settings, some features of our website might not be accessible for you. For more information, see Details and Settings.

 

These cookies are absolutely vital for operating our site. They are required for security reasons or are necessary from a legal point of view.
*They cannot be deactivated.

In order to improve our website for you further, we collect anonymous data for statistical and analytical purposes.

These cookies are intended to facilitate use of our website for you. Your settings can be saved for 30 days.

Gastbeitrag von Edgar Walk für die Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.9.2025

Darum braucht Japan einen höheren Leitzins

The article is not available in the chosen language und will therefore be displayed in the default language.

Nach dem Sudan hat Japan die zweithöchste Staatsschuldenquote der Welt. Doch nun hat die Notenbank in Tokio die Chance, mit einer geldpolitischen Überraschung eine Wende einzuleiten.

Im Jahr 2021 erreichte die Staatsverschuldung Nippons mit 241 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einen Höchstwert. Seit 1991 steigt sie langsam und stetig, gefürchtete Kursturbulenzen am Staatsanleihemarkt blieben aber aus. Denn die japanische Regierung ist nicht für die Rekordverschuldung verantwortlich.

Nach dem Platzen der Blase am Aktien- und Immobilienmarkt Anfang der 1990er-Jahre waren der gesamte japanische Bankensektor und viele Unternehmen de facto bankrott, da sie in der Boomphase der 1980er-Jahre auf Kredit Aktien und Immobilien gekauft hatten. Als eine Folge der niedrigeren Bewertung von Aktien und Immobilien bei gleichzeitig unverändert hohen Schulden begann der private Sektor plötzlich drastisch zu sparen. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage brach ein, und das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich stark.

Eine unheilvolle Abwärtsspirale drohte: steigende Sparneigung, entsprechend sinkende Nachfrage, Entlassungen und Unternehmenskonkurse und eine sich weiter verstärkende Sparneigung. Auch verlängerten Banken ausstehende Kredite an zweifelhafte Kreditnehmer immer wieder, um so Verluste durch eine Abschreibung zu vermeiden. Sie waren dann nicht mehr in der Lage, neue Kredite zu vergeben, um gesunde und aufstrebende Unternehmen zu finanzieren.

Die Konjunktur ließ sich nur stabilisieren, indem die Staatsausgaben merklich erhöht wurden und die hohe private Sparneigung durch eine immense Emission von Staatsanleihen befriedigt wurde. Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass nicht der Staat wie sonst üblich Kreditgeber suchte, sondern die verzweifelten Kreditgeber einen schuldenmachenden Staat. Daher wird auch die japanische Staatsverschuldung nahezu komplett von japanischen Marktteilnehmern gehalten, die bisher dafür sehr niedrige Zinsen akzeptierten. Auch wurde die Geldpolitik wirkungslos aufgrund einer fehlenden Kreditnachfrage des privaten Sektors und eines fehlenden Kreditangebots der angeschlagenen Banken.

Edgar Walk
Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management

Im Rückblick war es ein großer Fehler, die Bilanzen der Banken und Unternehmen nicht schnell zu bereinigen. Die Staatsausgaben wurden nur so weit erhöht, um die Konjunktur über Wasser zu halten und eine moderate Deflation zu erreichen. Die jeweiligen japanischen Regierungen hatten offensichtlich zu große Angst vor einer zu hohen Staatsverschuldung, was sich im Nachhinein jedoch als unbegründet erwies.

Die japanischen Wirtschaftspolitiker hätten stärker auf den Aktien- und Immobilienmarkt schauen müssen, da erfahrungsgemäß die Aktienkurse und die Immobilienpreise frühzeitig eine grundsätzliche Veränderung des Inflationsumfelds anzeigen. So signalisierte der strukturelle Rückgang der Aktienkurse und der Immobilienpreise Anfang 1993 schon frühzeitig die dann ab 1995 einsetzende Deflation der Konsumentenpreise.

Die Bilanzen des privaten Sektors und der Banken sind inzwischen repariert und solide. Die psychologischen Narben der langen Krise sind weitgehend verheilt. Vor allem aber seit dem inflationsfreundlichen wirtschaftspolitischen Kurswechsel unter Premierminister Shinzo Abe Anfang sind die Aktienkurse seit 2016 in einem strukturellen Aufwärtstrend. Die landesweiten Immobilienpreise stabilisierten sich von 2019 an und steigen seit 2023 wieder strukturell. In einem gewissen Sinne signalisieren die steigenden Preise von Aktien und Immobilien, dass die Bevölkerung und die Unternehmen die lange Phase der hohen Risikoaversion überwunden haben und wieder Anlagechancen an den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft nutzen möchten. Das heißt auch: Geldpolitik wirkt wieder - der private Sektor ist bereit, Kredite aufzunehmen und seine Sparentscheidung vom Zins abhängig zu machen.

Ist die Geldpolitik wieder wirksam, stellt sich die Frage nach dem angemessenen Leitzins. Auf den ersten Blick wirkt die These fast zu schlicht: Der Leitzins sollte sich langfristig ungefähr an der Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) orientieren. Das nominale BIP misst dabei alle Ausgaben der inländischen Akteure in der eigenen Währung.

Wenn der Leitzins für eine längere Zeit unterhalb des nominalen Wachstums liegt, können Schuldner ihre Verbindlichkeiten leichter bedienen, da die Einkommensbasis schneller wächst als die Kosten des Schuldendienstes. Dies wirkt wie eine stille Umverteilung zugunsten der Schuldner - oft auf Kosten der Sparer. Der Anreiz kreditfinanzierter Ausgaben steigt, und der Anreiz zu sparen sinkt.

Liegt der Leitzins für eine längere Zeit über der nominalen Wachstumsrate, verschärft sich die Schuldenlast. Selbst Staaten geraten dann in eine Schuldenfalle, da ihre Schuldenquote auch bei ausgeglichenen Primärsalden steigt. So führten die hohen Realzinsen der 1980er-Jahre zu einer Welle von Schuldenkrisen in den Schwellenländern.

Im zweiten Quartal 2025 betrug die Wachstumsrate des nominalen BIP gegenüber dem Vorjahresquartal etwa 4,7 Prozent und der gleitende Durchschnitt über drei Jahre etwa 4,3 Prozent. Neben einer Verbesserung konjunktureller Frühindikatoren lässt sich zudem eine grundsätzliche Veränderung des politischen Klimas beobachten: Wähler wünschen sich in Zukunft höhere Staatsausgaben und niedrigere Steuern.

Ein anhaltendes nominales Wirtschaftswachstum von über vier Prozent scheint somit möglich und würde hohe Ertragschancen für Investitionen in die Realwirtschaft, in Immobilien und Finanzanlagen bieten. Ein Leitzins von nur 0,5 Prozent bedeutet für Kreditnehmer niedrige Zinskosten und für Sparer niedrige Zinserträge. Die Geldpolitik der Bank von Japan ist also ungewöhnlich locker und kann einen erheblichen Inflationsschub bei Aktien und Immobilien auslösen - und mit einer Verzögerung auch bei den Konsumentenpreisen.

Die Kehrseite der Medaille der hohen Staatsschulden ist somit ein hohes Vermögen der privaten Haushalte von etwa 375 Prozent des BIP, das bisher vor allem bei Banken geparkt war. Bei zu niedrigen Zinsen droht dieses Geld in Umlauf zu kommen und nachfragewirksam zu werden. Die Bank von Japan sollte daher zügig den Leitzins auf mindestens 2,5 Prozent erhöhen. Die Teilnehmer an den Finanzmärkten preisen aber erst im Dezember 2025 einen Leitzins von mehr als 0,5 Prozent mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 53,2 Prozent ein.

Ein Zinsschritt im September oder Oktober wäre also eine große Überraschung und würde erhebliche Auswirkungen auf die Anleihe- und Aktienmärkte in den USA und Europa haben. Japanische private Wirtschaftsakteure haben weltweit mehr als 7,1 Billionen Dollar an den Finanzmärkten angelegt oder als Kredit ins Ausland vergeben. Höhere Zinsen in Japan könnten dazu führen, dass Gelder aus dem Ausland nach Japan zurückgeholt werden. Sollte die Bank von Japan aber den Leitzins nur zögerlich anheben, droht perspektivisch eine gefährliche Finanzpreisinflation, gefolgt von einer Konsumentenpreisinflation.

F.A.Z., 20.09.2025, Nr. 219, Wirtschaft, S. 32, D0

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

More articles