Aktienkultur in Deutschland: So bitte nicht!
Schnelles Geld mit Aktien
Ein paar Schlagzeilen auf Bild-Online aus den vergangenen Wochen:
„NEW YORKER FINANZJOURNALIST VERRÄT:
Diese Strategie macht Sie zum Börsen-Millionär: Tim Schäfers Börsenstrategie machte ihn zum Millionär. Das können Anleger von ihm lernen.“
vom 29. September 2021
„NEUE IM DAX:
Diese Dax-Neulinge können Sie reich machen. Der DAX geht seit Montag mit 40 statt 30 Aktien an den Start! Wie gut sind die Neuen?“
vom 25. September 2021
„FINANZ-DIVA:
Das ist meine neue 1000-Prozent-Gewinn-Aktie. Finanz-Diva Katja Eckardt verrät Ihnen, welcher Aktie sie 1000 Prozent Gewinn zutraut.“
vom 19. September 2021
„HARRY DELBRÜCK (67):
In kurzer Zeit ein kleines Vermögen durch Aktien. Harry Delbrück hat sich mit Aktien innerhalb weniger Jahre ein Vermögen aufgebaut.“
vom 7. September 2021
Deutsche Sparer kehren an den Aktienmarkt zurück
Aufgrund der Negativzinsen und des langjährigen Aufwärtstrends an den Börsen – nur unterbrochen von Mini-Crashs – scheinen in Deutschland die Sparer an den Aktienmarkt zurückzukehren. Sicherlich trägt dazu auch der (Irr-?)Glaube bei den Sparern bei, dass man sich keine größeren Sorgen um ausgeprägte Kursrückgänge machen müsse, da die Zentralbanken jederzeit bereitstünden, Liquidität in die Finanzmärkte zu pumpen, und so jeder Kursrückgang zur Kaufgelegenheit werde.
Schon im New-Economy-Boom gegen Ende der 1990er-Jahre wollten viele deutsche Sparer schnell reich werden – unter anderem mit der Aktie der Deutschen Telekom – und erlitten damit Schiffbruch. Die Folge war ein herber Rückschlag für die Aktienkultur in Deutschland.
Aufklärung durch die Medien dringend erforderlich
Immer wieder zeigt sich, dass Anleger vom Aktienmarkt keine Wunder und vor allem keinen schnellen Reichtum erwarten dürfen. Diesen durch reißerische Schlagzeilen verzerrten Eindruck müssen nicht zuletzt auch die Medien korrigieren. Sparer sollten bei Investitionen in den Aktienmarkt diese zehn Punkte kennen:
- Aktien eignen sich am besten für die langfristige Anlage, da sie starken Kursschwankungen unterliegen. So kann es im schlimmsten Fall zehn Jahre oder sogar länger dauern, bis Verluste bei einem sehr ungünstigen Investitionszeitpunkt wieder aufgeholt werden.
- Auch unterliegen Einzelaktien großen unternehmensspezifischen Risiken, die umso größer werden, je kleiner bzw. jünger das Unternehmen ist. Studien zeigen, dass erst bei einem Portfolio von mehr als 30 Aktien die unternehmensspezifischen Risiken sinnvoll diversifiziert sind, sodass sie keine große Rolle mehr im Portfolio spielen.
- Eine konservative Schätzung geht von mittelfristigen Erträgen bei Investitionen in europäische Aktien von durchschnittlich 8 % pro Jahr aus – die jeweils etwa zur Hälfte auf Kursgewinne und Dividendenrenditen zurückzuführen sind.
- Aktien bieten einen deutlich höheren langfristig zu erwartenden Ertrag als andere Anlageformen.
- Es gibt immer wieder Jahre mit Wertverlusten: Eine angenommene Volatilität2 von 15 % pro Jahr bedeutet auch, dass Aktien in den meisten Jahren Erträge zwischen -7 % und +23 % abwerfen.
- Aktien neigen zu crashartigen Kursverlusten.
- Ein Crash lässt sich nicht von einer großen Mehrheit der Anleger vorhersehen – weil diese Anleger dann nämlich schon ihre Aktienbestände verkauft hätten. Ein Crash kommt also meistens völlig überraschend. Risikomanagement kann jedoch die Folgen mildern.
- Langfristig bestimmt das Gewinnwachstum der Unternehmen die Kursentwicklung. Sie hat also nichts mit Zockerei zu tun, sondern ist 100%ig fundamental getrieben.
- Kurzfristig können jedoch Gewinnwachstum und Kursentwicklung voneinander abweichen – aufgrund einer optimistischen oder pessimistischen Stimmungslage der Anleger.
- Portfoliomanager können langfristig einen Mehrertrag gegenüber dem Aktienmarkt erzielen, indem sie mithilfe einer tiefgehenden Fundamentalanalyse die Gewinnperspektiven der einzelnen Unternehmen beurteilen.
Wie ist das aktuelle Umfeld einzuschätzen?
Die Zeiten an den Finanzmärkten sind außergewöhnlich – mit gleichzeitig rekordverdächtig niedrigen Zinsen und tendenziell steigenden Inflationserwartungen. Wer sein Geld zu Negativzinsen von -0,5 % auf der Bank liegen hat, verliert derzeit real etwa 2,5 % pro Jahr. Auch eine zehnjährige deutsche Bundesanleihe bietet keine Ausweichmöglichkeit, da sie einen realen Negativzins von -2,0 % aufweist. Nach zehn Jahren lassen sich dann mit den angelegten Ersparnissen also 20 % weniger Lebensmittel, Energie und Konsumgüter kaufen. Diese Enteignung ist nicht mehr schleichend, sondern enorm.
Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand: 31.8.2021
* Bis 2004: nominale Rendite abzgl. Kerninflation; ab 2004: reale Rendite inflationsgeschützter Staatsanleihen
Vor diesem Hintergrund sind Aktien eine unverzichtbare Alternative. Die Attraktivität von Aktien gegenüber den oft als sicher bezeichneten Staatsanleihen lässt sich anhand einer Schätzung der Ex-ante-Risikoprämie darstellen. Die Ex-ante-Risikoprämie ist eine grobe und heuristische Schätzung, welchen Mehrertrag Aktien gegenüber Staatsanleihen über einen Zeitraum von mehreren Jahren im Durchschnitt pro Jahr erreichen können. In Europa lag der Wert Ende August bei etwa 8 %-Punkten, in den USA bei etwa 5,5 %-Punkten.
Berechnung Ex-ante-Risikoprämie: Gewinnrendite (Gewinn-Kurs-Verhältnis) abzüglich Realzins
Interpretation: Der zu erwartende mittelfristige Mehrertrag von Aktien ggü. zehnjährigen Staatsanleihen (in %-Punkten)
Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand: 31.8.2021
In der Vergangenheit war die Ex-ante-Risikoprämie in den USA und Europa hoch korreliert. Seit der Staatsschuldenkrise 2012 hat sich jedoch eine Schere gebildet: Europäische Aktien müssen nun eine deutlich höhere Risikoprämie bieten, da Europa als deutlich riskanter wahrgenommen wird als die USA. Die Angst vor einer Rückkehr der europäischen Schuldenkrise besteht also an den Finanzmärkten immer noch.
Für Anleger ist es wichtig zu verstehen, dass es sich hier um eine mittelfristige Perspektive handelt, die auch nicht im Widerspruch dazu steht, dass die Kurse an den Aktienmärkten in den nächsten beiden Jahren fallen könnten. Die Verluste würden dann nach der Logik der Ex-ante-Risikoprämie in den darauffolgenden Jahren wieder aufgeholt werden. Auch sind durchaus Szenarien denkbar, in denen Aktien weniger verlieren als Staatsanleihen und dadurch einen Mehrertrag erzielen. So könnten in einem Inflationsszenario die Zentralbanken gezwungen sein, die Leitzinsen rapide anzuheben.
Aufschwung in den USA und Europa sowie Rezession in China
Die Ausbreitung der Delta-Mutante des Coronavirus scheint unter Kontrolle zu sein, wie sinkende Infektionszahlen aus Europa und den USA signalisieren. Somit bestehen auch wieder Chancen für Wachstum im Dienstleistungssektor: Die Einkaufsmanagerindizes (Dienstag) dürften Erholungstendenzen anzeigen. Im Gegensatz dazu dürfte die Strategie der chinesischen Regierung, den Immobiliensektor zu schrumpfen, in eine Rezession münden – und der Einkaufsmanagerindex (Dienstag) eher schwächer sein.
Die Daten zur deutschen Industrie wie Aufträge (Mittwoch) und Produktion (Donnerstag) lassen sich kaum sinnvoll interpretieren, da die deutsche Industrie unter nie dagewesenen Lieferkettenproblemen leidet.
In den USA ist der Arbeitsmarkt (Freitag) zur dominierenden Zielgröße der US-Notenbankpolitik geworden. Ein starker Zuwachs der Beschäftigung und ein starkes Wachstum der Löhne würden bedeuten, dass die Fed schon früher die Leitzinsen anheben könnte.
Normalerweise tendiert der Wechselkurs eines Landes schwächer, wenn immer mehr Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland importiert werden. In diesem Fall ist dann das Ausland immer weniger daran interessiert, die zusätzlich erwirtschaftete Fremdwährung zu halten. Die US-Handelsbilanz (Dienstag) dürfte auch im August nahe des im Juni erreichten Rekorddefizits notiert haben. Dennoch tendiert der US-Dollar stärker. Das Ausland kann anscheinend nicht genug US-Dollar mit dem Handel erwirtschaften, denn offensichtlich gibt es aus Sicht der Finanzmarktakteure keine echten Alternativwährungen.
1 https://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/systemfehler-junge-mutter-kauft- aktien-und-hat-ploetzlich-360-000-euro-schulden_id_13170935.html
2 Und unter der Annahme einer Normalverteilung der Erträge, die in der Realität jedoch nicht erfüllt ist, da Aktien zu Crashs neigen. Es geht hier jedoch um eine grobe Heuristik.
Weitere Beiträge
Diese Unterlage der Metzler Asset Management GmbH (nachfolgend zusammen mit den verbundenen Unternehmen im Sinne von §§ 15 ff. AktG „Metzler“ genannt) enthält Informationen, die aus öffentlichen Quellen stammen, die wir für verlässlich halten. Metzler übernimmt jedoch keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Informationen. Metzler behält sich unangekündigte Änderungen der in dieser Unterlage zum Ausdruck gebrachten Meinungen, Vorhersagen, Schätzungen und Prognosen vor und unterliegt keiner Verpflichtung, diese Unterlage zu aktualisieren oder den Empfänger in anderer Weise zu informieren, falls sich eine dieser Aussagen verändert hat oder unrichtig, unvollständig oder irreführend wird.
Ohne vorherige schriftliche Zustimmung von Metzler darf/dürfen diese Unterlage, davon gefertigte Kopien oder Teile davon nicht verändert, kopiert, vervielfältigt oder verteilt werden. Mit der Entgegennahme dieser Unterlage erklärt sich der Empfänger mit den vorangegangenen Bestimmungen einverstanden.