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19.4.2021

Fraunhofer-Gespräch „Grüner Wasserstoff: Energieträger für Net Zero 2050“

Von 100 auf 0: Die Vollbremsung für das Klima erfordert neben den erneuerbaren Energien auch nachhaltige, grüne Energieträger und Chemikalien, ohne Emissionen und klimaschädliche Gase wie CO2.

Über Wasserstoff als wichtigen Baustein zum Erreichen der ambitionierten Ziele der Klimaneutralität in Deutschland und der Europäischen Union bis 2050 sprachen Guido Hoymann, Head of Equity Research Metzler Capital Markets, und Prof. Christopher Hebling, Bereichsleiter Wasserstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE.

Hoymann: Herr Prof. Hebling, Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff – können Sie kurz die unterschiedlichen Herstellungsverfahren erläutern?

Hebling: Wasserstoff ist in einer Vielzahl von Molekülen unseres Alltags enthalten. Die Erzeugung im großen Maßstab erfolgt derzeit überwiegend durch die Extraktion des Wasserstoffanteils aus Kohlewasserstoffen – der Dampfreformierung – zum Beispiel aus fossilem Erdgas. Zunehmend bedeutsam wird aber die Wasserstoffherstellung durch die Wasserspaltung mittels nachhaltig erzeugter Elektrizität – der sogenannten Wasserelektrolyse.. Während die Wasserelektrolyse bereits vor einhundert Jahren für die Wasserstofferzeugung eingesetzt wurde, um Düngemittel herzustellen, kam die Dampfreformierung erst gegen Mitte des letzten Jahrhunderts ins Spiel.

Hoymann: Entscheidend, ob Wasserstoff als „grün“ zu klassifizieren ist, ist jedoch der CO2-Fußabdruck bei der Herstellung. Da gibt es erhebliche Unterschiede.

Hebling: Das ist richtig. Bei der Dampfreformierung entstehen pro Tonne Wasserstoff rund neun Tonnen CO2. Deshalb spricht man hier von grauem Wasserstoff. Grüner Wasserstoff ist elektrolytisch erzeugt. Es wird kein direktes CO2 im Prozess emittiert.

Hoymann: Lässt sich sagen, wie viel CO2 indirekt emittiert wird?

Hebling: CO2 fällt hier über die Materialien und Herstellungsverfahren in der Vorkette wie Photovoltaikmodule oder Windkraftanlagen an. Aus Lebenszyklusanalysen weiß man, dass auch grüner Wasserstoff derzeit kaum unter zwei Tonnen CO2 pro erzeugter Tonne Wasserstoff herzustellen ist. Die Produktion von grünem Wasserstoff macht also nur Sinn, wenn sie mithilfe von Wind- oder Photovoltaikstrom geschieht, da im derzeitigen Strommix ein zu hoher Anteil von CO2-Emissionen durch die fossilen Kraftwerke hinterlegt ist. Insofern hängt die grüne Wasserstoffproduktion direkt vom Ausbau der erneuerbaren Energien ab.

Hoymann: Aber der Ausbau von Windkraftanlagen in Deutschland stockt. Beispielsweise wurden in den Jahren 2019 und 2020 Onshore-Wind-Kapazitäten von nur 1 bzw. 1,5 GW zugebaut. Das dürfte weniger sein als die Kapazität, die jährlich ab 2021 stillgelegt wird. 20 Jahre nach Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 läuft die Förderung für die Anlagen „der ersten Stunde“ aus. Bei Offshore-Wind betrug der Zubau 2019 und 2020 insgesamt 0,2 GW. Welche Kapazitäten müssten zugebaut werden, um den Strombedarf insgesamt zu decken?

Hebling: Diese Frage wird in den verschiedenen Szenarien sehr breit diskutiert und insofern gibt es keinen eindeutigen Wert. Fest steht, dass wir mindestens das Fünffache der derzeitigen Kapazität von Wind- und Solaranlagen in Deutschland brauchen. Die heutige Gesamtkapazität liegt bei 115 GW Erzeugungsleistung. Manche Studien gehen auch vom Siebenfachen aus.

Prof. Dr. Christopher Hebling, Bereichsleiter Wasserstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE
Fest steht, dass wir mindestens das Fünffache der derzeitigen Kapazität von Wind- und Solaranlagen in Deutschland brauchen.
Prof. Dr. Christopher Hebling
Prof. Christopher Hebling, Bereichsleiter Wasserstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE

Hoymann: Wie viel davon wäre für die Wasserstoffproduktion zu veranschlagen?

Hebling: Welcher Anteil an Strom für die Wasserstoffproduktion verwendet wird, ist damit korreliert, welchen Marktanteil man grünem Wasserstoff sowie seinen Wasserstoffderivaten wie Methanol oder Ammoniak in dem Mobilitätssektor oder in der Industrie zubilligt.

Hoymann: Der Ausbau der erneuerbaren Energien erfordert ja auch Energiespeicher. Mit Batterien allein lassen sich die sogenannten „Dunkelflauten“ – die Zeiten ohne Wind und Sonne – nicht überbrücken. Kann die Wasserstofftechnologie auch als Speichermöglichkeit für überschüssigen erneuerbaren Strom eingesetzt werden?

Hebling: Wasserstoff lässt sich flüssig und gasförmig speichern und transportieren und auch in Salzkavernen in Norddeutschland in praktisch unbegrenzten Mengen zur saisonalen Energiespeicherung unter Druck deponieren. Zudem werden Elektrolyseure wichtige Elemente eines künftigen Stromsystems mit hohen Anteilen an erneuerbaren Energien werden: Sie können Netzdienstleistungen wie Frequenzstabilisierung übernehmen oder ein Überangebot von Strom in Wasserstoff umwandeln.  

Hoymann: Wie Sie bereits sagten, die Elektrolyse von Wasser ist an sich nicht neu. Warum setzt die Europäische Union erst seit 2020 auf die Wasserstofftechnologie als zentralen Baustein für Net Zero?

Hebling: Die Europäische Union hat Wasserstofftechnologien schon recht früh – eigentlich schon seit Jahrzehnten – als eine Schlüsseltechnologie der Energiewende erkannt und in die Förderung genommen. Im Juli 2020 wurde im Rahmen des „Green Deals“ eine Wasserstoffstrategie verabschiedet, weswegen vielleicht der Eindruck entstehen könnte, dass dies ein neues Thema ist. Dem ist aber nicht so. Die Europäische Union hat mit der Hydrogen Europe und der European Clean Hydrogen Alliance (ECH2A) wirkmächtige Einrichtungen, die die Langfristziele der Union immer wieder auf eine Handlungsebene übersetzen können.

Hoymann: Deutschland setzt jetzt verstärkt auf grünen Wasserstoff. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass wir zum Selbstversorger werden können. Wie sieht es mit Importmöglichkeiten aus?

Hebling: Die meisten Studien gehen von einem Importanteil von grünem Wasserstoff von etwa 50–80 % aus. Beispielsweise aus südlichen europäischen Ländern, aus Marokko bzw. der MENA-Region wie Nordafrika und insbesondere Saudi-Arabien. Aber auch die Ukraine und die windreichen nördlichen europäischen Länder werden Wasserstoff exportieren. Weiterhin investieren manche Länder in Südamerika und ganz besonders auch in Australien große Summen in Solar- und Windparks für die Herstellung und den Export von grünem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten wie Ammoniak und Methanol.

Hoymann: Transport und Logistik dürften hier jedoch neue Hürden stellen.

Hebling: Der Import von Wasserstoff wird derzeit in einer Reihe von Studien und strategischen Initiativen vorbereitet. Den Wasserstoff über Pipelines aus den genannten Ländern zu transportieren, ist kostenmäßig sehr interessant, da bis zu 75 % auf umgewidmete Erdgaspipelines zurückgegriffen werden kann und somit keine Neubaukosten anfallen. Aber auch der Schiffstransport zum Beispiel von verflüssigtem Wasserstoff aus weiter entfernt liegenden Ländern und die Anlandung in Häfen wie Rotterdam wird derzeit in ersten Vorhaben entwickelt. Weiterhin wird die Erzeugung von Chemieprodukten aus grünem Wasserstoff wie Methanol oder Ammoniak betrachtet und umgesetzt. Kostenmäßig liegen importierter Flüssigwasserstoff mit Methanol und Ammoniak je nach Entfernung in etwa gleichauf.

Guido Hoymann, Head of Equity Research Metzler Capital Markets
Noch ist die Produktion von Wasserstoff unrentabel und kostspielig.
Guido Hoymann
Head of Equity Research Metzler Capital Markets

Hoymann: Noch ist die Produktion von Wasserstoff unrentabel und kostspielig. Wie lange wird es nach Ihrer Einschätzung dauern, bis Wasserstoff als Energieträger wettbewerbsfähig ist?

Hebling: Die Wettbewerbsfähigkeit richtet sich nach vielen Faktoren, bei der Herstellung geht neben den CAPEX, also den Investitionskosten, insbesondere der OPEX – der Strompreis – in die Kostengestaltung ein. Marktseitig hängt die Wettbewerbsfähigkeit in hohem Maße an der CO2-Bepreisung von fossilen Energieträgern. Je höher die CO2-Bepreisung ist, umso schneller wird grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig. Aber auch bei einem moderaten Anstieg der CO2-Preise wird bis etwa 2030 mit der sogenannten ‚fossilen Parität‘, also den gleichen Gestehungskosten im Vergleich mit grauem Wasserstoff, zumindest in den günstigen Solar- und Windregionen gerechnet.

Hoymann: Welche Branchen sind an der Entwicklung grüner Wasserstofftechnologien beteiligt?

Hebling: Derzeit werden in allen Sektoren Möglichkeiten geprüft, wie sich Wasserstofftechnologien zur CO2-Reduktion einsetzen und in industriellem Maßstab hochskalieren lassen. Bei der Entwicklung spielen die Wasserstofferzeugung, die Sicherheitstechnik, der Transport und die Speicherung eine wesentliche Rolle. Auf Seiten der Anwendung sind die wichtigsten Sektoren die Mobilität, ebenso wie Industrieanwendungen wie Stahlerzeugung oder Raffinerien oder schließlich die Chemiewirtschaft. Die Wasserstofftechnologien werden häufig als die wichtigste Post-Covid-19-Technologie bezeichnet, insbesondere weil sie eine starke globale Dimension angenommen haben und sich viele Länder mit hohen Potenzialen für erneuerbare Energien wie Australien oder die sogenannte MENA-Region, also der Nahe Osten und Nordafrika, strategisch in dieser Richtung aufgestellt haben. Bereits über dreißig Länder haben nationale Strategiepapiere oder Roadmaps veröffentlicht, was einen Hinweis auf das zu erwartende Marktpotenzial gibt. 

Hoymann: Japan verabschiedete bereits 2017 eine Wasserstoffstrategie mit ambitionierten Zielen bis 2030 – zu einer Zeit, wo andere Länder noch allein auf Elektro setzten.

Hebling: In der Tat. Japan hat früh strategisch auf alle Aspekte einer „Hydrogen Society“ gesetzt und hat bereits 400.000 Brennstoffzellen-Blockheizkraftwerke in Betrieb und hat mit Toyota einen Automobilhersteller, der beginnend mit diesem Jahr jährlich 30.000 Brennstoffzellenfahrzeuge (MIRAI II) produzieren wird.

Hoymann: Wo steht China?

Hebling: China tätigt gewaltige Investitionen in den Wasserstofftechnologien und wird aus meiner Sicht bald der Marktführer in einer Reihe von Anwendungen werden. Nach zehn Jahren der Batterieförderung hat man jetzt recht radikal die Förder- und Investmentpolitik auf Wasserstofftechnologien ausgerichtet.

Hoymann: Und wie ist Deutschland hinsichtlich Forschung und Entwicklung der Wasserstofftechnologien aufgestellt?

Hebling: Forschungs- und entwicklungsseitig denke ich, dass Deutschland international eine Spitzenstellung einnimmt, die es jetzt gilt in die nationalen Wertschöpfungsketten zu übersetzen, damit Deutschland durch exportfähige Produkte am globalen Marktgeschehen teilnehmen kann.

Hoymann: Vielen Dank für das Gespräch!

 
Prof. Dr. Christopher Hebling, Bereichsleiter Wasserstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE

Prof. Dr. Christopher Hebling ist Leiter des Bereichs „Wasserstofftechnologien“ und Co-Direktor des Bereichs „Energietechnologien und -systeme“ am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, wo er seit mehr als 25 Jahren tätig ist. Er ist Vorstandsmitglied der „National Organization for Fuel Cells and Hydrogen“ NOW, des Fraunhofer-Exzellenz-clusters „Integrated Energy Systems“, des Fraunhofer-Netzwerks „Hydrogen Economy“ und Mitglied des internationalen Beirats des „Hydrogen South Africa Flagship Program“ des südafrikanischen Ministeriums für Wissenschaft und Innovation (Department of Science and Innovation; DSI). Zudem ist er Präsidiumsmitglied des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands (DWV). Er veröffentlichte etwa 150 Beiträge in Zeitschriften und Konferenzpublikationen und ist Gutachter nationaler und internationaler Forschungsprogramme. Im Mai 2019 wurde ihm eine Honorarprofessur für Chemieingenieurwesen an der Universität Kapstadt verliehen. Christopher Hebling studierte Physik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und promovierte 1998 an der Universität Konstanz.

Guido Hoymann, Head of Equity Research bei Metzler Capital Markets

Guido Hoymann ist seit 2000 bei Metzler tätig. Als Analyst ist er verantwortlich für die Sektoren Transport und Versorger. Seit 2014 ist Herr Hoymann Head of Equity Research im Kerngeschäftsfeld Capital Markets. Zuvor war er Co-Head of Research im Geschäftsfeld Equities. Von 1998 bis 1999 arbeitete er als Analyst für deutsche, schweizerische und österreichische Banken bei Dresdner Kleinwort Benson in Frankfurt am Main. Bereits während seines Studiums sammelte Herr Hoymann erste berufliche Erfahrungen im Investmentbanking durch Tätigkeiten und Praktika bei verschiedenen deutschen Banken in Düsseldorf, London und New York. Herr Hoymann studierte Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim mit den Schwerpunkten Finanzierung, Bankbetriebslehre, Marketing und Handelsrecht.