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13.5.2022 - Carolin Schulze Palstring

Börsennarrative: Wo schlummern die Gefahren?

„In Europa wird es zu unseren Lebzeiten keinen bewaffneten Konflikt mehr geben!“, „Inflation ist ein Relikt aus der Vergangenheit!“, „Die Leitzinsen werden ihre Vorkrisenniveaus nie wieder erreichen!“, „Technologieaktien sind die Gewinner von morgen!“ Diese und viele andere gängige Narrative beeinflussten in den vergangenen Jahren ganz wesentlich das Wirtschafts- und Börsengeschehen. 

Der Zusammenhang ergibt sich wie folgt: Unternehmen, Konsumenten und Investoren müssen Annahmen über die Zukunft treffen, um Kauf- und Investitionsentscheidungen abwägen zu können. Dabei greifen sie mit Vorliebe auf diejenigen Informationen zurück, die sie zuletzt erhalten haben bzw. gewichten diese höher als ältere Informationen (Rezenzeffekt). In der Praxis bedeutet das oftmals, dass der vorherrschende Zustand einfach in die Zukunft fortgeschrieben wird: Sinken also etwa seit einigen Jahren die Inflationsraten, tendiert die Mehrheit der Marktteilnehmer dazu, auch in Zukunft von sinkenden Inflationsraten auszugehen. Sobald dann eine kritische Masse ihr Handeln nach der gleichen Prämisse – zum Beispiel Disinflation – ausrichtet, entsteht ein starkes gesellschaftliches Narrativ, das mithin zu einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann, wenn sich immer mehr Akteure derselben Einschätzung anschließen. Spätestens seit dem neuen Buch „Narrative Economics“ von Nobelpreisträger Robert Shiller ist offenkundig, dass der Einfluss gesellschaftlicher Narrative von Ökonomen lange unterschätzt wurde.

Und auch Börsenanleger sollten bei diesem Thema hellhörig werden. Aus dem oftmals sehr eindimensionalen gesellschaftlichen Konsens bezüglich zukünftiger Entwicklungen können nämlich große Gefahren für Vermögen resultieren. Dabei gilt: Je stärker sich die Anlagepolitik nach vorherrschenden Meinungen ausrichtet, desto unausgewogener wird in der Regel die Vermögensallokation – und damit steigt auch die Gefahr, irgendwann auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Da starke Narrative naturgemäß mit sehr langfristigen Trends einhergehen, kommt dies glücklicherweise nicht allzu oft vor. 

Das Jahr 2022 dürfte in diesem Kontext jedoch die leidliche Ausnahme bilden. Aus vielerlei Gründen steht es im Verdacht, eine Zeitenwende in Politik und Wirtschaft einzuläuten. Die geopolitischen Spannungen mit Russland führen nicht nur zu einem Umdenken in der westlichen Bündnis-, Außen- und Sicherheitspolitik. Auch die Energiewende muss infolge der jüngsten Entwicklungen forciert und neu konzipiert werden. Lange währende Trends, etwa die nachlassende Inflation, die Globalisierung und stetig sinkende Zinsen, stehen plötzlich auf dem Prüfstand und sorgen für eine veränderte Attraktivität von Anlageklassen sowie unerwartete Favoritenwechsel am Aktienmarkt. Besonders schwierig sind derartige Paradigmenwechsel für Investoren in Indexfonds, die wissentlich oder unwissentlich einem Trendfolgemodell aufsitzen. Hierzu ein Beispiel: Mit einer Investition in einen börsengehandelten Indexfonds (ETF), der den bekannten Index MSCI World nachbildet, kaufen Investoren mitnichten ein diversifiziertes Portfolio aus weltweiten Aktien. Im Gegenteil: Der MSCI World Index besteht zu knapp 70 % aus US-amerikanischen Aktien und zu fast einem Viertel aus Technologie-Titeln. Wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schlagartig ändern, haben ETF-Investoren oftmals Klumpenrisiken in ihrem Aktienportfolio. Umschichtungen bei der Länder- und Sektorgewichtung durch aktives Eingreifen innerhalb der Indexfonds sind jedoch nicht möglich.

Aus den jüngsten Entwicklungen lässt sich für Anleger vor allem eines ableiten: Demut vor Zukunftsprognosen. Investoren sind gut beraten, sich zunächst auf strategischer Ebene gegenüber den elementaren Risiken für den Vermögenserhalt zu wappnen – und zwar unabhängig von deren subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten. Die jahrhundertelange Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass die größten Vermögensgefahren von Inflation, Deflation und politischen Umwälzungen ausgehen. Durch eine angemessene strategische Aufteilung des Vermögens auf Substanzwerte, wie etwa Aktien, und Nominalwerte, beispielsweise Anleihen, ist ein Teil des Vermögens stets geschützt, wenn es zu Verwerfungen bei der Verbraucherpreisentwicklung kommt. Eine regionale Diversifikation reduziert zudem die Anfälligkeit des Vermögens gegenüber politischen Risiken. Erst im zweiten Schritt sollten dann Zukunftserwartungen im Rahmen der taktischen Anlagepolitik eine zentrale Rolle spielen. 

Carolin Schulze Palstring
Carolin Schulze Palstring

Leiterin Kapitalmarktanalyse , Metzler Private Banking

Carolin Schulze Palstring leitet seit April 2019 die Kapitalmarktanalyse von Metzler Private Banking in Frankfurt am Main. Zuvor war sie sechs Jahre im selben Bereich als Analystin für Makroökonomie tätig. Sie absolvierte von 2012 bis 2013 ein Investment-Trainee-Programm bei Metzler. Frau Schulze Palstring studierte Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Bankwesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe, und war gleichzeitig bei der Deutschen Bank Privat- und Geschäftskunden AG in Düsseldorf tätig. 2012 erwarb sie zudem einen Master of Letters in Finance and Management an der University of St. Andrews.

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