Der Leidensdruck der Bank of Japan wird größer
Der japanische Yen steht zum Dollar unter Druck und hat vergangene Woche zwischenzeitlich erneut die Marke von 150 erreicht. Zudem ist die Rendite zehnjähriger japanischer Staatsanleihen (JGBs) erstmals seit 2013 auf ein Niveau von 0,8% gestiegen. Die Administrationen des Landes stehen in Lauerstellung, erste Interventionen am Devisenmarkt könnten bereits stattgefunden haben. Eine Aufgabe der Yield-Curve-Control scheint hingegen (noch) nicht auf der Agenda zu stehen – davon hängt einfach nach wie vor zu viel ab. Sowohl am Devisen- als auch am Bondmarkt müssen Zentralbank und Regierung aufpassen, dass ihnen die Situation nicht entgleitet.
Geldpolitik als Treiber
Der Haupttreiber der Yen-Entwicklung im Jahresverlauf 2023 ist leicht ausgemacht: die Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ). Während andere große Währungshüter weltweit in den vergangenen eineinhalb Jahren die Leitzinsen gar nicht schnell genug anheben konnten, sieht sich die japanische Notenbank noch immer ihrer sehr expansiven Ausrichtung verpflichtet. Denn obwohl sich Japan offiziellen Aussagen zufolge nicht mehr im Deflations-Szenario befindet, müsse die BoJ nach wie vor besorgt sein, dass die Preisentwicklung nicht in ein solches zurückfalle, heißt es. Laut Einschätzung von Wirtschaftsminister Yoshitaka Shindo müssen die politischen Entscheidungsträger in Tokio Schlüsselindikatoren wie die Produktionslücke und die Arbeitskosten genau beobachten, bevor ein vollständiges Ende der Deflation verkündet werden könne. Aktuell sind es neben der Yen-Entwicklung vor allem die kräftig steigenden Renditen, die der BoJ Kopfzerbrechen bereiten dürften. Durch diese Entwicklung erhöht sich der Druck auf die Zentralbank, ein Ende der Yield-Curve-Control vorzubereiten, maßgeblich. Aber es ist auch die Talfahrt des Yen, die die geldpolitische Arbeit der Währungshüter herausfordernd macht – denn auch hier wären höhere Zinsen hilfreich. Man kann derzeit den Eindruck gewinnen, dass der Markt auf beiden Spielfeldern einen Angriff auf die BoJ, sprich deren Durchhaltevermögen, vorbereitet. Länger höhere Leitzinsen und die jüngsten politischen Querelen in den USA treiben letztlich nicht nur die Treasury- Renditen, sondern auch die der japanischen Staatsanleihen in die Höhe. Es wird für die Notenbank perspektivisch nicht einfacher, diese Entwicklung zu verhindern. Die Entscheidung der BoJ von Juli, die langfristigen Zinssätze künftig etwas kräftiger ansteigen zu lassen, trug auch nur wenig zur Umkehr des Abwärtstrends des Yen bei. Denn bei aller kurzfristiger Freude konzentrierten sich die Investoren schnell wieder auf das nahezu gleichzeitig abgegebene Versprechen von Gouverneur Kazuo Ueda, die lockere Geldpolitik werde beibehalten, bis ein dauerhaftes Wachstum der Löhne und der Inflation absehbar sei. Im Idealfall wünscht sich Ueda eine Lohn-Preis-Spirale, damit das Inflationsziel von 2% nachhaltig erreicht werden kann. Doch das ist vor dem Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung aktuell nicht abzusehen. Die japanische Wirtschaft ist zwar in den vergangenen Quartalen unerwartet stark gewachsen, doch prognostizieren Experten bis Jahresende wieder eine merkliche Abkühlung. Nicht umsonst hat Ueda auch die Entwicklung in den Überseemärkten als Risikofaktor für die japanische Konjunktur ausgemacht.
Spekulation um Intervention
Doch zurück zum Devisenmarkt, wo sich Spekulationen um mögliche Interventionen häufen. Denn die Yen-Schwäche ist ein breit angelegtes Problem, das neben der Zentralbank auch mehr und mehr die Politik beschäftigt. Es ist aktuell bereits ein häufigeres Phänomen, dass japanische Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagert haben. Zudem ist die heimische Wirtschaft in hohem Maße auf Importe von Gütern wie Treibstoff, Rohstoffen und Maschinenteilen angewiesen. Es dürfte folglich (wenn auch weniger explizit ausgesprochen) auch von Regierungsseite Druck auf die Zentralbank ausgeübt werden, zur Unterstützung des Yen einzuwirken. Allerdings müssen wir hier betonen, dass Interventionen zum Ankauf des Yen historisch deutlich seltener sind. Viel häufiger hat das Finanzministerium Yen verkauft, um einen durch einen zu kräftigen Anstieg entstehenden Schaden für die stark exportabhängige Wirtschaft zu verhindern und gleichzeitig für japanische Waren im Ausland die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Als Zeichen für die wachsende Besorgnis der Regierung über die Schwäche des Yen sagte Japans oberster Währungsdiplomat, Masato Kanda, er habe sich vergangene Woche mit Premierminister Fumio Kishida getroffen, um „die Wirtschaft im Allgemeinen zu besprechen“. Das kann man in dieser Unbestimmtheit glauben – oder auch nicht.
Die letzte größere Intervention zugunsten des Yen datiert auf den September vergangenen Jahres (erstmals seit 1998), nachdem die Entscheidung der BoJ, ihre ultralockere Geldpolitik beizubehalten, die heimische Valuta bis auf eine Schmerzgrenze von 145 Yen pro Dollar gedrückt hatte. Die nächste Intervention sahen die Währungshüter bereits im Oktober als notwendig an, nachdem USD/JPY auf ein 32-Jahres-Hoch von 151,95 gesprungen war. Vergangenen Mittwoch wollten die japanischen Behörden hingegen nicht bestätigen, ob sie in den Markt eingegriffen haben, um den Yen zu stützen. Gleichzeitig wurde jedoch erneut die Entschlossenheit betont, gegen übermäßige Volatilität vorzugehen, „ohne irgendwelche Optionen auszuschließen“.
In Habachtstellung
Die Anleger sind also weiterhin gezwungen, in Habachtstellung zu verharren. Indem sie sich bedeckt halten, können die Behörden die Investoren im Ungewissen lassen und hierdurch vor allem Spekulanten davon abhalten, neue Tiefststände des Yen zu testen. Eine solche Taktik, die letztlich durchaus als verbale Intervention bezeichnet werden kann, reicht aber in dem Moment nicht mehr aus, in dem sich der Markt entschlossen hat, den Willen und die Möglichkeiten der Notenbank herauszufordern – wobei im Falle der BoJ insbesondere letztere nicht unterschätzt werden sollten. Auch wenn wir in den vergangenen Tagen eine leichte Beruhigung bei US-Treasuries beobachten durften, sehen wir weiterhin die Gefahr, dass die amerikanischen Renditen noch einmal auf der Oberseite angreifen. Und genau dieser Entwicklung werden sich auch JGBs nicht entziehen können – und vor allem nicht der Yen. USD/JPY läuft somit unserer Einschätzung nach Gefahr, sich in Richtung der magischen Marke von 150 zu bewegen. Die BoJ hat mehrfach geäußert, dass sie nicht die absoluten Niveaus der Wechselkurse, sondern vielmehr die Geschwindigkeit von Kursveränderungen kritisch analysiert. Von daher kommt es letztlich auf das Momentum an, ob wir wirklich Yen-stärkende Markteingriffe sehen werden, oder ob es bei verbalen Interventionen bleibt. Wir haben momentan eher das Gefühl, dass sich die japanische Notenbank bald den Herausforderungen wird stellen müssen – und somit auch in den Markt eingreifen wird.
Börsen-Zeitung, erschienen am 10.10.2023, Autor Sebastian Sachs, Finanzanalyst FI/FX bei Metzler Capital Markets
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