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Handelsblatt-Interview mit Emmerich Müller
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4.1.2023
„Wir treten in eine völlig neue Ära ein“
In seinem Abschiedsinterview warnt der Chef der Traditionsbank vor einem weiteren turbulenten Jahr an den Märkten. Er rechnet mit einer anhaltend hohen Inflation und setzt auf defensive Aktien.
Handelsblatt: Herr Müller, Sie werden im Sommer Ihre Position im Vorstand aufgeben und die Führung der Bank an Gerhard Wiesheu abgeben. Geplant ist, dass Sie dann in den Aufsichtsrat wechseln. Wie fühlt es sich an, wenn man allmählich immer mehr Dinge zum letzten Mal in seiner seit Jahrzehnten gewohnten Rolle macht?
Emmerich Müller: Eigentlich sehr gut. Ich werde in diesem Jahr 67 und glaube, in diesem Alter und nach über 20 Jahren in verantwortungsvoller Funktion ist es gestattet, Verantwortung mit gutem Gewissen abzugeben. Ich gehe mit dem Gefühl, insgesamt einen positiven Beitrag für unser Haus geleistet zu haben. Mir gefällt auch der Gedanke, in Zukunft in einer neuen Rolle, die mir mehr Raum für meine privaten Pläne lässt, weiter für die Bank tätig zu sein.
Sie übergeben die Führung der Bank in ausgesprochen unruhigen Zeiten. Beunruhigt Sie das nicht ein bisschen?
Tatsächlich wäre mir ein anderes Umfeld lieber gewesen, aber um unser Bankhaus ist mir nicht bange. Zwar können auch wir uns nicht von den Märkten abkoppeln, jedoch hat sich unser konservatives Geschäftsmodell gerade in unruhigen Zeiten immer wieder bewährt. Dennoch haben Sie recht, wir hatten es selten in den vergangenen Jahrzehnten mit einer derart komplexen Mischung von Risiken zu tun. Von den geopolitischen Gefahren durch den Ukrainekrieg und die Spannungen in Asien über den Trend zur Deglobalisierung und die Inflation bis hin zur demografischen Entwicklung, die zu einem belastenden Mangel an Arbeitskräften geführt hat.
Was bedeutet das für die Märkte?
Die Inflation wird zwar künftig wieder nachlassen, uns aber leider trotzdem noch eine Weile zu schaffen machen. Durch den Mangel an Arbeitskräften steigen die Löhne, die Deglobalisierung und Dekarbonisierung werden den Inflationsdruck ebenfalls strukturell verstärken. An diesen Trends führt kein Weg vorbei. Wir erwarten für 2023 in der Euro-Zone eine Inflationsrate von rund sechs Prozent. Die Zinsen werden noch etwas weiter steigen. Die Notenbanken müssen ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen, die hohen Inflationserwartungen dürfen sich nicht in den Köpfen der Marktteilnehmer verankern. Allerdings lässt sich mit steigenden Zinsen keine Energiekrise lösen.
Das klingt nicht nach guten Aussichten für die Anleihemärkte, oder?
2022 war ein extrem schlechtes Jahr am Anleihemarkt. Teilweise fielen die Verluste ähnlich hoch aus wie an den Aktienbörsen, und die Kursschwankungen waren so heftig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir gehen davon aus, dass die Kurse im Jahr 2023 noch etwas weiter sinken, und die Renditen spiegelbildlich moderat steigen. Am kurzen Ende der Laufzeiten rechnen wir vom aktuellen Niveau aus für 2023 mit einem Plus von 0,5 Prozentpunkten, und bei den zehnjährigen deutschen Bundesanleihen erwarten wir eine Rendite von 2,5 bis drei Prozent.
An den Aktienmärkten war 2022 ebenfalls kein erfreuliches Jahr. Der deutsche Leitindex Dax fiel in den vergangenen zwölf Monaten um etwa zwölf Prozent, und der S&P-500-Index an der Wall Street um rund 20 Prozent. Sind Sie denn für Aktien etwas optimistischer mit Blick auf 2023?
Ja, das sind wir. Zwar erwarten wir für Anfang 2023 eine Rezession in Europa und den USA. Aber sie wird vermutlich moderat ausfallen, und die Aktienmärkte beginnen normalerweise bereits vor dem Ende einer Rezession wieder zu steigen. Wir sehen für europäische Aktien 2023 ein Aufwärtspotenzial von etwa sechs bis sieben Prozent.
Verglichen mit den Anleihemärkten wäre das die bessere Performance.
Deshalb gewichten wir Aktien in unseren Portfolios auch höher als festverzinsliche Wertpapiere. Was die Branchen angeht, bevorzugen wir vorerst weiterhin defensive Sektoren wie Basiskonsum und Gesundheit. Darüber hinaus halten wir wegen des höheren Zinsniveaus Unternehmen aus dem Finanzsektor für attraktiv, zum Beispiel Lebensversicherer. Branchenunabhängig setzen wir auf Geschäftsmodelle mit einer starken Wettbewerbsposition und Preissetzungsmacht, um bei anhaltend hohen Teuerungsraten die Gewinnmargen zu schützen. Die Kapitalmarktprognosen sind allerdings mit großer Unsicherheit behaftet, weil die Märkte mit sehr vielen Risiken gleichzeitig zurechtkommen müssen. Ich fürchte, dass auch das neue Jahr von starken Kursschwankungen geprägt sein wird.
Wo sehen Sie die größten Risiken?
Es besteht die Gefahr, dass viele Unternehmen die Gewinnerwartungen verfehlen werden. In einigen Branchen sind die Ergebnisprognosen noch immer zu hoch. Wir rechnen mit einem Rückgang der Unternehmensgewinne in Europa in Höhe von fünf Prozent und in den USA von zwei Prozent.
Das klingt so, als würde 2023 allenfalls ein solides Aktienjahr werden, kein herausragendes.
Wenn man die Inflationsprognosen berücksichtigt, besteht im neuen Jahr nach wie vor die Gefahr von negativen Realrenditen, auch bei Aktieninvestments. Ich fürchte, dass uns dieses Phänomen trotz der von den Notenbanken eingeleiteten Zinswende vor allem am Anleihemarkt noch eine ganze Weile begleiten wird.
Notenbanken stecken in einem Dilemma.
Warum?
Stark belastete Schuldner, das heißt vor allem die Staaten, haben ein Interesse an negativen Realrenditen. Die Notenbanken müssen und werden zwar die Inflation bekämpfen, aber sie müssen auch im Auge behalten, wie sich die Finanzierungstraglast der Staaten entwickelt. Das ist ein Dilemma, vor allem für die Europäische Zentralbank. In den USA dürften die Leitzinsen im Jahr 2023 noch bis auf fünf Prozent steigen, in der zweiten Jahreshälfte jedoch dort verharren. Die Europäische Zentralbank wird ihren Einlagensatz mit Rücksicht auf einige hochverschuldete Euro-Länder voraussichtlich "nur" bis auf drei Prozent anheben. Dabei ist die Zinswende eigentlich sehr erfreulich.
Kein Wunder, dass Sie als Banker das sagen ...
Natürlich profitiert die Branche von den steigenden Zinsen, aber negative Sätze sind schlecht für die gesamte Volkswirtschaft, weil sie zu einer Fehlallokation von Kapital führen. Investments, die eigentlich keinen großen Sinn haben, rechnen sich scheinbar. Unternehmen, die keine Daseinsberechtigung mehr haben, leben weiter. Ein Teil des Arbeitskräftemangels lässt sich vielleicht auch auf solche Fehlallokationen zurückführen. Strukturelle Bereinigungen wurden durch die jahrzehntelange Niedrigzinsphase verschleppt.
Wird sich das durch die aufziehende Rezession ändern?
Ich denke, dass wir in eine völlig neue Ära eintreten. Nach der sehr langen Phase, die durch niedrige oder sogar negative Zinsen geprägt war, werden wir meiner Meinung nach künftig mit einer sehr viel volatileren Konjunktur leben müssen, deutlich kürzeren Auf- und Abschwüngen. Aus meiner Sicht werden wir nicht zu einer neuen Phase der Niedrigzinsen zurückkehren, sondern dauerhaft Renditen auf einem höheren Niveau sehen, als wir es viele Jahre lang gewohnt waren.
2022 war trotz aller Turbulenzen ein solides Jahr für Metzler.
Was heißt das alles für das Bankhaus Metzler?
Wir haben auch in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen, dass wir in schwierigen Fahrwassern gut zurechtkommen, vom Platzen der Technologieblase um die Jahrtausendwende über die Finanzkrise und die Euro-Krise bis hin zur Pandemie. 2022 war trotz aller Turbulenzen ein solides Jahr für Metzler. Und das Umfeld, das ich gerade skizziert habe, spricht nach wie vor für Aktien und damit für uns als Bank, die stark in der Vermögensverwaltung und im Kapitalmarktgeschäft engagiert ist.
Was wird sich unter Ihrem designierten Nachfolger ändern?
Das müssen Sie Herrn Wiesheu natürlich selbst fragen. Aber Metzler ist eine Bank, die eher für Evolution als für Revolution bekannt ist. Ich denke nicht, dass wir unser Geschäftsmodell in den kommenden Jahren komplett umkrempeln werden. Aber natürlich müssen wir, wie in der Vergangenheit auch, Marktveränderungen Rechnung tragen.
Welche Marktveränderungen meinen Sie?
Ich denke zum Beispiel an das Vordringen neuer Technologien wie der Blockchain, die zum Eintritt neuer Marktteilnehmer führen kann, aber auch uns Chancen zur Effizienzsteigerung und für neue Dienstleistungen bietet. Auch eine europäische Kapitalmarktunion, die ein neues rechtliches und regulatorisches Rahmenwerk erfordert, kann zu Veränderungen führen.
Seit sich Friedrich von Metzler 2018 aus der Unternehmensführung zurückgezogen hat, sitzt kein Familienmitglied mehr im Vorstand. Mit Ihrem Nachfolger geht die inzwischen doch recht lange Phase, in der die Bank von externen Managern geleitet wird, in die Verlängerung. Wird sich das wieder ändern?
Ich bin sehr zuversichtlich. Die beiden Kinder von Friedrich von Metzler, Franz und Elena, arbeiten seit Jahren für die Bank und haben wichtige Positionen inne: Elena ist inzwischen im Aufsichtsrat, und Franz ist zum Jahreswechsel in den Vorstand eingezogen. Er verantwortet das Geschäftsfeld Asset-Management. Damit ist auch wieder ein Mitglied der Eignerfamilie in der operativen Führung.