Börsen am Scheideweg
Die Börsen legten im ersten Quartal einen furiosen Jahresstart hin. Sowohl der deutsche Aktienindex DAX als auch der US-amerikanische MSCI USA lagen zweistellig im Plus. Die Gründe für den rasanten Aufschwung, der bereits im Oktober des vergangenen Jahres begonnen hatte, sind vielschichtig: Die US-Wirtschaft entwickelte sich trotz der hohen Leitzinsen deutlich besser als erwartet und im Euroraum deuteten zuletzt einige Frühindikatoren auf eine allmähliche Belebung der Konjunktur hin. Auch in China scheint sich die konjunkturelle Lage trotz struktureller Probleme etwas stabilisiert zu haben. Darüber hinaus trieb die ungebrochene Euphorie rund um das Thema Künstliche Intelligenz die Börsen weiter nach oben, genauso wie die erhofften Leitzinssenkungen in diesem Jahr. Die insgesamt positive Stimmung an den Börsen wurde vielerorts mit dem so genannten „Goldilocks-Szenario“ in Verbindung gebracht – einem idealen Umfeld für Aktienmärkte mit einem robusten Wirtschaftswachstum bei moderaten Inflationsraten.
Goldilocks-Narrativ bekommt Risse
Zuletzt sorgte allerdings die zunehmend angespannte geopolitische Lage im Nahen Osten für Unsicherheit unter den Anlegern und für einen Dämpfer am Aktienmarkt mit leichten Kursverlusten. Zudem haben ausgerechnet die zuvor stetig fallenden Inflationsraten jüngst für Enttäuschung gesorgt. Sie sind nämlich in den USA zuletzt nicht weiter gefallen. Im Gegenteil: Der kurzfristige unterliegende Inflationstrend zeigt sogar wieder nach oben (siehe Abb. 1) – und zwar auf das Jahr hochgerechnet in Richtung von 4 % oder mehr, was doppelt so hoch ist wie das Inflationsziel von 2 % der US-amerikanischen Notenbank Federal Reserve. Für die Währungshüter in den USA ist die aktuelle Situation heikel, denn einerseits gehen sie selbst von drei Senkungen des Leitzinses bis Ende dieses Jahres aus. Andererseits könnte sich bei einer voreiligen Lockerung der Geldpolitik die Inflationsdynamik wieder stärker beschleunigen.
Parallelen zu den 1970er-Jahren
Dies weckt Erinnerungen an die 1970er Jahre, die gemeinhin als Blaupause für eine wiederholt außer Kontrolle geratene Inflation gelten. Abgesehen vom Einfluss des volatilen Ölpreises waren die dynamischen Preisanstiege nämlich primär auf eine zu expansive Geld- und Fiskalpolitik zurückzuführen. Der US-Ökonom Jeremy Siegel bezeichnete diese Periode als „das größte Versagen der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik in der Nachkriegszeit“. Übertragen auf die heutige Situation sind gewisse Parallelen zu damals erkennbar: Die Geldpolitik war während der Coronapandemie beispiellos expansiv und die US-Fiskalpolitik ist es mit den hohen Staatsausgaben und Haushaltsdefiziten bis heute. Darüber hinaus ist es bemerkenswert, wie sehr der Verlauf der Inflation Mitte der 1970er-Jahre der aktuellen Entwicklung ähnelt (siehe Abb. 2). Der Vorsitzende der Federal Reserve, Jerome Powell, betonte zwar in den vergangenen Monaten mehrfach, die geldpolitischen Fehler der vergangenen Dekaden nicht wiederholen zu wollen – also nicht zu früh die Leitzinsen zu senken. Unseres Erachtens dürfte es dann allerdings schwierig werden, die US-Wirtschaft unter den aktuell hohen Zinsen und Finanzierungskosten auch in den kommenden Quartalen am Laufen zu halten.
Marktteilnehmer preisen Zinssenkungen weitgehend aus
Unter den meisten Marktteilnehmern ist die Zinssenkungsfantasie in den USA mittlerweile ohnehin weitgehend verflogen. Wurden Anfang des Jahres noch Leitzinssenkungen in Höhe von 1,5 %-Punkten erwartet, sind es mittlerweile nicht einmal mehr 0,5 %-Punkte bis Jahresende. Viele Anleger stellen sich demzufolge darauf ein, dass die US-Leitzinsen (aktuell bei 5,3 %) länger auf hohem Niveau verharren könnten als vor einigen Wochen noch gedacht. Daher wundert es auch nicht, dass die Renditen von US-Staatsanleihen über alle Laufzeiten in diesem Jahr wieder deutlich gestiegen sind (siehe Abb. 3).
US-Konjunktur trotzt bislang den hohen Zinsen
Angesichts des stärksten Leitzinsanstiegs der vergangenen Dekaden erwies sich die US-Wirtschaft bislang als erstaunlich resilient. Einer der Hauptgründe sind die bereits oben genannten umfangreichen staatlichen Ausgabenprogramme, die die dämpfende Wirkung der restriktiven Geldpolitik konterkarierten. Außerdem wirkte der Zinsanstieg asynchron: Während hohe Sparzinsen sehr schnell zu Zinserträgen führten, veränderten sich die laufenden Finanzierungskosten der Unternehmen nur sehr langsam. Schließlich hatten viele Marktteilnehmer die damalige Niedrigzinsphase genutzt, um sich längerfristig zu finanzieren und somit die günstigen Konditionen temporär zu sichern. Damit lässt sich die aktuelle Phase hoher Zinsen für eine gewisse Zeit gut überbrücken. Abbildung 4 zeigt, dass sich die durchschnittlichen Kuponzahlungen der Unternehmen an ihre Anleihegläubiger nur langsam dem aktuellen Marktzinsniveau annähern. Insofern waren die hohen Leitzinsen für viele Unternehmen deutlich besser verkraftbar als zunächst befürchtet.
Kommt das dicke Ende doch noch?
Die Investoren am Bondmarkt preisen Ausfallsrisiken aktuell zusehends aus. So sind zum Beispiel die Zinsaufschläge von Anleihen im schlechtesten Bonitätssegment („High Yield“) im Vergleich zu sicheren Staatsanleihen in diesem Jahr weiter gesunken und damit so niedrig wie schon lange nicht mehr (siehe Abb. 5 links). Die vorherrschende Sorglosigkeit könnte jedoch trügerisch sein: Mit Blick auf die kommenden Quartale dürfte der Refinanzierungsbedarf der Emittenten spürbar steigen, da immer mehr Unternehmensanleihen fällig werden (siehe Abb. 5 rechts). Dieser Berg an auslaufenden Schuldpapieren – auch „Wall of Maturity“ genannt – gab in der Vergangenheit schon oft Anlass zur Frage, inwieweit die Schulden tragfähig sind und ob der große Finanzierungsbedarf am Markt überhaupt zu angemessenen Konditionen gedeckt werden kann. Bislang entpuppten sich derartige Befürchtungen meist als unbegründet. Schuldner konnten sich sogar über tendenziell immer niedrigere Finanzierungskosten freuen. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Die Renditen am Bondmarkt haben sich in den vergangenen drei Jahren vervielfacht und die Hoffnung auf schnell sinkende Leitzinsen scheint sich mit den hartnäckig hohen Inflationsraten in den USA zu zerschlagen. Sollte es der US-Notenbank in den kommenden Monaten kaum möglich sein, die Leitsätze nennenswert zu senken (oder müsste sie im schlimmsten Fall sogar Erhöhungen vornehmen), könnte das für höher verschuldete und/oder wenig profitable Unternehmen zum Problem werden – und damit letztendlich auch zu Turbulenzen am Kapitalmarkt führen.
Abb. 5: Die Zinsaufschläge sind aktuell niedrig, der Refinanzierungsbedarf hingegen hoch
Andere Situation in der Eurozone als in den USA
In der Eurozone stellt sich die Situation aktuell ganz anders dar als in den USA. Die Konjunktur verläuft schleppend, der Inflationsdruck ist geringer als jenseits des Atlantiks und die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet die Marktteilnehmer auf eine erste Leitzinssenkung im Juni vor. Isoliert betrachtet dürfte die bald weniger restriktive Geldpolitik dem Aktienmarkt hierzulande Rückenwind verleihen. Allerdings handelt die EZB nicht im luftleeren Raum. Denn wird die Zinsdifferenz zu den USA zu groß, dürfte der Euro im Vergleich zum US-Dollar noch weiter abwerten. Daher können die europäischen Währungshüter ihre Geldpolitik nicht völlig losgelöst von der in den USA betreiben.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die konjunkturellen Perspektiven in den vergangenen Monaten zwar etwas aufgehellt haben, was für eine Fortführung der aktuellen Hausse an den Börsen spricht. Allerdings könnten die anhaltend hohen Inflationsraten in den USA zu einem ernstzunehmenden Problem werden – nämlich dann, wenn dadurch die Leitzinsen länger als erwartet auf einem hohen Niveau verharren müssen und die Wirtschaft droht, schlussendlich doch in die Knie gezwungen zu werden. Unseres Erachtens berücksichtigen die immer noch hohen Kursstände an den Börsen das letztgenannte Risiko zu wenig, weshalb wir einer recht defensiven Positionierung im Portfolio vorerst treu bleiben. Auf der Aktienseite legen wir den Fokus auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit einer soliden Ertrags- und Bilanzstruktur. Im Anleiheportfolio setzen wir ausschließlich auf kreditwürdige Emittenten mit einem Investment Grade Rating.
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