EZB unter Zugzwang
Im Februar verzeichnete die Kerninflation einen überraschend starken Anstieg auf 5,6 Prozent, Lohnrunden mit hohen Forderungen laufen derzeit und die langfristigen Inflationserwartungen an den Finanzmärkten sind zuletzt merklich gestiegen – siehe die Inflationsswaps in der unteren Grafik, die auf ein Niveau nahe vergangener Hochpunkte gestiegen sind.
Die EZB (Donnerstag) droht also die Kontrolle über das Inflationsnarrativ zu verlieren – in dem Sinne, dass sie zunehmend nicht mehr als kompromisslose Hüterin der Preisstabilität wahrgenommen wird. Dementsprechend steht sie unter Druck, den Leitzins am Donnerstag mindestens auf 3,0 Prozent anzuheben und schon für die nächste Sitzung im Mai einen weiteren Schritt von 0,5 Prozentpunkten anzukündigen. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die EZB am Donnerstag den Leitzins sogar auf 3,25 Prozent anhebt. Auch könnte sie eine Beschleunigung der Bilanzreduktion beschließen. Derzeit reduziert sie diese nur um 15 Mrd. EUR pro Monat.
Modelle helfen, die Gedanken zu sortieren
Ein Vorteil eines ökonometrischen Modells zur Prognose des EZB-Leitzinses ist, dass gleichzeitig alle wichtigen Einflussfaktoren berücksichtigt werden können, die auf den Leitzins einwirken. Ein Nachteil ist jedoch, dass dabei immer auch nach einem „guten Fit“ gesucht wird, der den tatsächlichen Erklärungsgehalt eines Modells überzeichnen kann.
Seit 1998 lässt sich der EZB-Leitzins mit den Variablen Wirtschaftswachstum, Inflation, Kerninflation und Kreditvergabe einigermaßen gut erklären. Wir haben dabei versucht, die Risiken eines „zu schönen“ Fits zu minimieren.
Gegeben unserer Erwartung einer Konjunkturerholung im ersten Halbjahr in der Eurozone und einer vorerst stabil hohen Kerninflationsrate bei etwa 5,5 Prozent signalisiert das Modell, dass die EZB den Leitzins bis Juni auf 3,75 Prozent anheben könnte. Ab November signalisiert das Modell jedoch wieder Potenzial für Leitzinssenkungen. Die Gründe dafür sind die Erwartung einer Konjunkturschwäche im zweiten Halbjahr, eine merkliche Verlangsamung der Kreditvergabe sowie ein Rückgang der Inflation bis auf 3,0 Prozent bis Dezember – vor allem aufgrund von Basiseffekten bei den Energiepreisen. Bei der Kerninflation hingegen erwarten wir nur einen minimalen Rückgang.
Die große Unbekannte ist jedoch die Inflation: Sollte diese im Jahresverlauf 2023 unerwartet hoch bleiben, würden weitere Leitzinserhöhungen drohen. Hier wird sich der Fokus unter anderem auf die Lohnkostenentwicklung (Freitag) richten.
Monetarismus als Polarstern für die mittlere Frist
Mithilfe der Geldmengen hätte die Inflation in den vergangenen beiden Jahren deutlich besser prognostiziert werden können – zeigt eine Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Der Monetarismus scheint also im aktuellen Marktumfeld wieder von Nutzen zu sein.
Aus einem monetaristischen Blickwinkel könnte sich die Inflation trotz einer schrumpfenden Geldmenge beschleunigen, wenn die Bevölkerung das Vertrauen in die Kaufkraft des Euros verliert und sich die Umlaufgeschwindigkeit beschleunigt, da jeder seine Euros so schnell wie möglich wieder loswerden möchte.
Vor dem Hintergrund der Leitzinserhöhungen und der „falkenhaften“ Rhetorik der EZB halten wir einen merklichen Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit derzeit eher für unwahrscheinlich. Im Endeffekt ist es aber ein psychologisches Phänomen, das beobachtet werden muss. In diesem Zusammenhang ist der Rückgang der Inflationserwartungen der Konsumenten für die kommenden drei Jahre von 3,0 Prozent im Dezember 2022 auf 2,5 Prozent im März 2023 laut der Befragung durch die EZB immerhin schon einmal ein gutes Zeichen.
Eine inverse Renditestrukturkurve, die erhebliche Verschärfung der Kreditstandards durch die Banken sowie die schrumpfenden Geldmengen M1 und M3 sprechen aus monetaristischer Sicht immer noch dafür, dass sich die Inflation ab Herbst wieder deutlich abschwächen dürfte.
Insgesamt erwarten wir daher, dass die EZB den Leitzins im Juni auf 3,75 Prozent anhebt und bis Jahresende unverändert lassen wird. Für 2024 können wir uns sogar wieder Leitzinssenkungen vorstellen. Für unsere Prognose für die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen bedeutet es, dass sie bis Jahresende zwischen 2,5 und 3,0 Prozent schwanken könnten.
USA: Wie hartnäckig ist die Inflation?
In der kommenden Woche stehen eindeutig die Inflationsdaten (Dienstag) in den USA im Fokus. Aber auch die US-Erzeugerpreise (Mittwoch) sind wichtig, da sich die PCE-Kerninflation aus einer Kombination aus Komponenten des Konsumenten- und Erzeugerpreisindex zusammensetzt. Die PCE-Kerninflation ist die relevante Zielgröße für die US-Notenbankpolitik. Aufgrund der verbesserten Wachstumsperspektiven, wie unter anderem die ISM-Indizes zuletzt zeigten, droht sich die Inflation in den USA auf hohen Niveaus zu verfestigen.
Die Einzelhandelsumsätze (Mittwoch), der Philadelphia Fed Index (Donnerstag) sowie die Industrieproduktion (Freitag) könnten im Januar „zu gut“ gewesen sein, da der Januar von ungewöhnlich warmen Temperaturen gekennzeichnet war. Im Februar normalisierte sich das Wetter wieder, sodass es Gegenwind von der saisonalen Bereinigung gegeben haben könnte und die Konjunkturdaten enttäuschen könnten.
Darüber hinaus werden noch Daten zum Immobilienmarkt – NAHB-Index (Mittwoch) und Baugenehmigungen (Donnerstag) – veröffentlicht. Zuletzt zeigten die Daten erste Stabilisierungstendenzen. Die Zinsexplosion in den vergangenen Wochen dürfte jedoch wieder zu einer Rückkehr zum Abwärtstrend beitragen.
China: Wie groß ist der Öffnungsboom?
Die täglichen Daten zu Kinobesuchen, Flugreisen, städtischer Mobilität und anderen Faktoren zeigen eine deutliche Belebung der wirtschaftlichen Aktivität. Wie stark der Öffnungsboom in China aber tatsächlich ist, werden jedoch erst die Konjunkturdaten zeigen: Einzelhandelsumsätze, Industrieproduktion (jeweils Mittwoch) und Immobilienpreise (Donnerstag).
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