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Informationen für professionelle Anleger - 16.7.2025

Votum für den Aktienstandort Deutschland: Vom Auslaufmodell zum Hoffnungsträger

Stagnation der Wirtschaft, Unternehmensinsolvenzen auf Rekordhöhe, politische Versäumnisse in wirtschaftlich guten Zeiten und hohe Arbeitslosigkeit. Was nach der Beschreibung des aktuellen Status quo klingt, war in ­Wirklichkeit die Ausgangslage der deutschen Wirtschaft im Jahr 2003. Die Bezeichnung „kranker Mann Europas“, die damals geboren wurde, trifft wieder zu. Viele Probleme von damals kommen uns heute nur allzu bekannt vor.

Philipp Struwe, Portfoliomanagement Equities, und Oliver Schmidt, Geschäftsführer und CIO,  Metzler Asset Management GmbH
Philipp Struwe, Portfoliomanagement Equities, und Oliver Schmidt, Geschäftsführer und CIO, Metzler Asset Management GmbH

Deutschland schaffte mit der Agenda 2010 die Wende zum Besseren: Das umfassende Reformpaket stellte die rot-grüne Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 im Bundestag vor. Kernpunkte der damaligen Reformen waren die Erhöhung des Renteneintritts­alters, strengere Regelungen bei der Vergabe von Sozialleistungen – insbesondere beim Arbeitslosengeld –, die Förderung von In­vestitionen und Unternehmertum sowie die Senkung der Körperschaftssteuer.

Ab 2005 stellten sich die positiven Effekte ein: Höhere Flexibilität am Arbeitsmarkt und deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit. In der globalen Finanzkrise 2008/09 bewährte sich die Flexibilität der Kurz­arbeit, danach wurde Deutschland zum „Jobwunder“, und die Arbeits­losenquote fiel weiter kontinuierlich.

Sinkende Arbeitslosenzahlen und das Jobwunder Deutschland
Arbeitslosenquote in %

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Stand: 31. Dezember 2024

Der Aktienmarkt honorierte die damali­gen Strukturreformen nahezu augenblicklich. Der deutsche Aktienindex (DAX) hatte seinen tiefsten Stand unmittelbar vor Ankündigung der Agenda 2010 am 12. März 2003 und setzte – angetrieben von der Erwartung einer struktu­rellen Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – umgehend zu einer fulminanten Rally an, gleichwohl sich der tatsäch­liche Wirtschaftsaufschwung erst etwas später materialisierte.

Rückfall in längst überwunden  geglaubte Zeiten

In der Folgezeit ruhten sich alle Bundes­regie­rungen auf den Reformen der Nuller-Jahre und ihren positiven Effekten auf die deutsche Wirtschaft aus. Andere strukturelle Pro­bleme wurden nicht oder nicht konsequent genug angegangen, und wichtige neue Impulse für ein nachhaltiges Wirtschaftswachs­tum in Deutschland blieben aus.  

Die Politik versäumte es beispielsweise, bei der Bürokratie gegenzusteuern. Laut einer Studie des ifo-Instituts kostet die überbordende Bürokratie in Deutschland jährlich bis zu 146 Mrd. EUR an Wirtschaftsleistung. Komplexe Verwaltungsverfahren, zahlreiche Nachweis- und Dokumentationspflichten sowie eine unzureichende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sind Hürden, ins­besondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Denn sie haben weniger Ressourcen, um sich durch den Verwaltungs­dschungel zu navigieren. Die daraus resultierende Ineffizienz hemmt Innovationen und Investitionen und trägt wesentlich zum Stagnieren der Wirtschaft bei. Und Deutschland ist stark von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt, daher ist dies relativ betrachtet ein stärkerer wirtschaftlicher Belastungsfaktor als für andere Länder. 

Lange Zeit stand auch der Fachkräftemangel nicht auf der politischen Agenda, der sich in Deutschland in den vergangenen Jahren zunehmend verschärft hat. Ursache hierfür ist zum einen die demografische Entwicklung: Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass insgesamt in den kommenden elf Jahren rund sieben Millionen Menschen in Deutschland 
mit Renteneintritt aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden. Zum anderen verschärft die hohe Abwanderung von Fachkräften ins Ausland und die unzureichende Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt den Engpass zusätzlich. Dieser Mangel an Fachkräften hat nicht nur Auswirkungen auf die betroffenen Branchen, sondern bremst das gesamte Wirtschaftswachstum aus. Unternehmen sehen sich gezwungen, Aufträge abzu­lehnen oder ins Ausland zu verlagern, was zu einem Verlust von Wettbewerbs­fähigkeit führt. 

Hinzu kommt mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine durch die Invasion Russlands ein dramatischer Energiepreisschock. Insbesondere explodierende Gaspreise verteu­­erten die oft energie­intensive Produktion in Deutschland drastisch – häufig weit über ein noch profitables Niveau hinaus. Als Konsequenz stieg die Inflation rapide, und die Unsicherheit wuchs erheblich. Auch sorgte die mitunter erratisch anmutende Wirtschaftspolitik der letzten Bundes­regierung für zusätzliche Verunsicherung.  

Totgesagte leben länger

Mit dem Ergebnis der Bundestagswahl vom Februar 2025 und den bislang getroffenen Ankündigungen der neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD stellt sich rund 20 Jahre nach der Ankündigung der Agenda 2010 die Frage: Könnte sich Geschichte wieder­holen und der deutschen Wirtschaft das Kunststück der Auferstehung ein weiteres Mal gelingen?

Mit der Bekanntgabe eines großen Investitionsprogramms über 500 Mrd. EUR für Infrastruktur über einen Zeitraum von zwölf Jahren sowie dem klaren Bekenntnis, mehr Geld in die Vertei­digungsfähigkeit Deutschlands zu investieren, wurden wichtige Weichen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gestellt. 

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sieht vor, viele der zuvor lange ignorierten strukturellen Probleme anzugehen. Erklärtes Ziel ist, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken: Dazu zählen eine Senkung der Energiepreise, um insbesondere die Produktionskosten der Unternehmen zu reduzieren, attraktivere Abschreibungsmöglichkeiten, um Investitions­anreize zu schaffen, und die schrittweise Absenkung der Körperschafts­steuer ab 2028 von 15 auf 10 Prozent. 

Das neue Digitalministerium soll die lahmende Digitalisierung vorantreiben und Berichtspflichten für Unternehmen lockern. Auch das Thema Fachkräftemangel wird adressiert: Strengere Auflagen in der Sozial­politik für die Vergabe des Bürgergelds, eine gezieltere Anwerbung ausländischer Fachkräfte und die Möglichkeit für Rentner, steuerfrei bis zu 2.000 EUR monatlich hinzuzuverdienen, sollen dazu führen, dass dem Arbeitsmarkt weniger Personal verloren geht. 

Es gibt also zwischen dem Maßnahmen­paket der neuen Bundes­regierung und der Agenda 2010 viele Parallelen, wie der deut­schen Wirtschaft wieder zu mehr Wachstumsdynamik verholfen werden kann. 

Wirtschaftsstandort Deutschland punktet mit Verlässlichkeit 

Mittel- bis langfristig sollen Konjunkturprogramme die deutsche Binnenwirtschaft stärken. Gerade in Zeiten, in denen die globale Konjunktur aufgrund der erratischen US-Zollpolitik ins Stottern zu geraten droht und ein weltweiter Handelskonflikt unausweichlich erscheint, ist es von elementarer Bedeutung, wirtschaftlich einen Gegenimpuls zu setzen. 

Für Unternehmen bieten Deutschland und auch Europa mehr Verlässlichkeit und somit mehr Planungssicherheit. Damit wird der Wirtschaftsstandort auch für Investitionen perspektivisch wie­der attraktiver. Hinzu kommt die Unzufriedenheit von Forschern an renommierten US-Universitäten mit der neuen US-Regierung: Hier besteht die Chance, diese abzuwerben und nach Deutschland zu holen. Dies würde mittelfristig zu einer höheren Innovationskraft an deutschen Universitäten und bei Unternehmen führen und letztendlich auch in ein besseres Potenzialwachstum münden.  Insofern gibt es durchaus Hoffnung, dass sich Geschichte wiederholt und es mit den ambitionierten Plänen der Bundesregierung gelingt, die deutsche Wirtschaft wiederzubeleben. 

Zeichnung von Bulle und Bär mit Eurozeichen und Hochhäusern im Hintergrund

Trendwende für deutsche Neben­werte zeichnet sich ab

Als Resultat der Investitionsprogramme sollte vor allem die Binnenkonjunktur anziehen. Das würde vor allem den zuvor so lange vom Aktienmarkt vernachlässigten Nebenwerten zugutekommen, denn anders als größere Unternehmen erzielen sie einen höheren Anteil ihres Umsatzes in Deutschland. Dass viele deutsche Neben­werte in den vergangenen Jahren eine verhältnismäßig schwache Kursentwicklung zeigten, lag jedoch nicht an einer schlechten Gewinnentwicklung dieser Firmen. Begründen lässt sich dies vielmehr mit einer höheren Risiko­aversion vieler Investoren, sich bei kleinen und mittleren Unternehmen zu positionieren. 

Auch eine allgemein robuste Konjunktur sollte Nebenwerten auf die Sprünge helfen, da sie als konjunktursensibler gelten als große Unternehmen. Ebenso dürften die Zinssenkungen der EZB seit dem Sommer 2024 für Rückenwind auf der Seite der Refinanzierer sorgen (vgl. Artikel „Europäische Nebenwerte: Comeback dank Zinssenkungen und fiskalpolitischer Wende?“).

Somit ist die derzeitige Ausgangslage attraktiv: Analog zu 2003 sind Wirtschaftsreformen geplant – damals setzte der deutsche Aktienmarkt nach deren Verkündung zu einem Höhenflug an. Die Unternehmensbewertungen sind aktuell so günstig wie lange nicht mehr, insbesondere Small und Mid Caps, die sonst mit einer Prämie zu Large Caps handeln, sind gegenwärtig zu einem Abschlag zu haben. 

Erste Anzeichen für eine Trendwende bei deutschen Nebenwerten gibt es bereits: So verzeichneten aktive und passive Fonds mit ­Fokus auf den deutschen Aktienmarkt im ersten Quartal 2025 ­aggregiert ca. 6 Mrd. USD an Nettomittelzuflüssen. Dies markiert nicht nur eine signifikante Umkehr der konstanten Abflüsse der vergangenen fünf Jahre, sondern ist auch der größte Nettomittelzufluss in einem Kalenderjahr seit Beginn der Datenerhebung 2005.