Neuausrichtung von Klimastrategien und negative Auswirkungen von KI rücken in den Fokus
In vielen Ländern stehen die politischen Initiativen für mehr Nachhaltigkeit inzwischen im direkten Wettbewerb mit anderen drängenden Herausforderungen. Dabei verändern vor allem die zunehmende geopolitische Fragmentierung und das Ende der regelbasierten Weltordnung die Prioritäten vieler Staaten. Besonders deutlich wird dies beim Klimaschutz, wo der Wettlauf um technologische Souveränität und die Sicherung kritischer Rohstoffe die häufig unpopuläre Umsetzung nationaler Klimaziele in den Hintergrund rücken lassen. So haben zur 30. UN-Weltklimakonferenz in diesem Jahr gerade einmal 13 Länder ihre Ziele fristgerecht zum Stichtag im Februar eingereicht – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu 2020, als 75 Länder pünktlich lieferten.
Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels wahrscheinlich
Wenig überraschend wäre es daher, wenn die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens in absehbarer Zeit offiziell als unerreichbar eingestuft werden und eine Neuausrichtung erfahren. Das hätte direkte Konsequenzen für Unternehmen und Investoren, deren Dekarbonisierungsstrategien häufig am 1,5-Grad-Ziel des Abkommens ausgerichtet sind. Die Perspektive einer Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius dürfte den Fokus zudem auf die Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel lenken. Strategien zur Minderung von Schäden und Verlusten durch physische Klimarisiken dürften an Bedeutung gewinnen, ebenso wie Maßnahmen zur CO2-Entnahme und -Speicherung.
Noch bekennt sich der Musterschüler in der globalen Klimapolitik, die Europäische Union (EU), zum Paris-Ziel. Angesichts der Notwendigkeit von mehr Wettbewerbs- und Verteidigungsfähigkeit vollzieht die EU aber gleichzeitig einen Kurswechsel bei zentralen Nachhaltigkeitsvorhaben. So plant die EU-Kommission mit ihrer Omnibus-Initiative eine Entschärfung, Vereinfachung und Verschiebung von ESG-Vorschriften. Neue Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit, etwa der geplante CO2-Grenzausgleichsmechanismus, verfolgen das Ziel, einen grünen Protektionismus zu etablieren, der europäische Unternehmen bevorzugen soll.
Schattenseiten des KI-Booms werden sichtbar
Neben der Neuausrichtung der Klimastrategien dürfte künftig ein weiteres Thema die ESG-Agenda bestimmen: Die negativen Begleiterscheinungen des KI-Booms. Neben einer steigenden Arbeitslosigkeit drohen negative soziale Externalitäten in Form steigender Strompreise durch den Betrieb immer neuer Rechenzentren. Seit Jahresbeginn sind die mittleren Stromkosten für US-Haushalte um 7 Prozent gestiegen. Die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) für den weltweiten Energieverbrauch der Rechenzentren lassen zudem einen signifikanten Anstieg der CO2-Emissionen erwarten. Zwar soll der gewaltige Energiebedarf der Rechenzentren vor allem durch erneuerbare Energien und Kernenergie gedeckt werden, der zusätzliche Einsatz fossiler Energien wird dennoch unumgänglich sein. Gleichzeitig dürfte die zunehmende KI-Integration in Produkte und Dienstleistungen den Fokus auf die damit verbundenen materiellen Risiken lenken. Sollten sich diese Risiken manifestieren, sind Reputationsverluste und finanzielle Schäden für die betroffenen Unternehmen wahrscheinlich, und der Ruf nach staatlicher Regulierung dürfte lauter werden.