2024: Basisszenarien für Volkswirtschaften und Finanzmärkte
Gute Chancen auf eine New Economy 2.0
Die Weltwirtschaft steht erneut vor einer Periode eines rapiden technologischen Wandels. Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung werden das Arbeitsleben in den kommenden Jahren erheblich verändern. Makroökonomisch bedeutet dies eine Beschleunigung des Produktivitätswachstums – und damit des Wirtschaftswachstums.
Wir sehen durchaus die Möglichkeit einer New Economy 2.0. Damals, in der New Economy 1.0 von 1995 bis 2000, entstanden zunehmend neue Geschäftsmodelle rund um das Internet, die eine hohe Produktivität erzielen konnten und damit unproduktive Unternehmen verdrängten. Damals verzeichnete die Technologiebörse Nasdaq schon ein bis zwei Jahre vorher, in Antizipation der Produktivitätsrevolution, kräftige Kursgewinne. Die Kursgewinne der Nasdaq von mehr als 50 Prozent im Jahr 2023 könnten vor diesem Hintergrund auch als ein Signal einer bevorstehenden Beschleunigung des Produktivitätswachstums interpretiert werden.
Bestätigung dafür kommt von Daten der Unternehmensinvestitionen. Damit Unternehmen die Chancen der neuen Technologien nutzen können, müssen sie erst einmal investieren. Somit haben die Unternehmensinvestitionen einen gewissen Vorlauf vor der Produktivitätsentwicklung.
Seit der Pandemie hat sich das Investitionstempo1 in den USA von unter 3,0 Prozent auf etwa 4,0 Prozent pro Jahr beschleunigt. Es ist also davon auszugehen, dass sich das Produktivitätswachstum in den USA in den kommenden Jahren merklich beschleunigen wird. Erfreulicherweise ist auch in der Eurozone eine verbesserte Investitionsdynamik seit der Pandemie auf etwa 3,0 Prozent pro Jahr zu beobachten. Etwas enttäuschend ist Japan, das nur eine sehr moderate Belebung der Investitionsdynamik verzeichnen konnte.
Die New Economy 1.0 war geprägt von einem robusten Wirtschaftswachstum und einer sehr positiven Wertentwicklung der Finanzmärkte. Das nominale Wirtschaftswachstum in den USA betrug damals etwa 6,0 Prozent p.a. zwischen 1995 und 2000 und das Zinsniveau war auf einem etwa vergleichbaren Niveau. In der Regel orientieren sich die Zentralbanken bei ihrer Zinspolitik nämlich am nominalen Wachstumstrend. Eine Notenbank kann den Leitzins nicht zu stark unter den nominalen Wachstumstrend in einem Umfeld robusten Wirtschaftswachstums senken, da ansonsten eine merkliche Beschleunigung der Inflation droht.
Über die nächsten Jahre könnten wir uns durchaus eine Wachstumsbeschleunigung in den USA in Richtung eines realen BIP-Wachstums von 2,5 bis 3,0 Prozent vorstellen. Das würde im Einklang mit einem nominalen Wirtschaftswachstum von 4,5 bis 5,0 Prozent stehen – und mit einem Zinsniveau in diesem Rahmen.
Strukturelle Verbesserung kontra zyklische Eintrübung
Offensichtlich verkraftet die US-Wirtschaft die Leitzinserhöhungen der US-Notenbank aufgrund der erwarteten Produktivitätsentwicklung deutlich besser als die Wirtschaft der Eurozone die Leitzinserhöhungen der EZB. Die stagnierende Kreditvergabe der Banken in der Eurozone und die Krise am Immobilienmarkt zeigen eindrücklich, dass das Leitzinsniveau der EZB die Wirtschaft schon jetzt stark bremst.
Im Gegensatz dazu zeigt sich die US-Wirtschaft deutlich resilienter. Das zeigt sich auch am Konsum, der seit zwei Jahren in der Eurozone mehr oder weniger stagniert. Wir erwarten daher 2024 ein Wirtschaftswachstum von etwa 1,0 Prozent in den USA und von 0,2 Prozent in der Eurozone.
Die schwache Konsumnachfrage in der Eurozone bedeutet aber auch, dass die hohe Inflation in den vergangenen beiden Jahren nicht nachfrage- sondern angebotsgetrieben war. Derzeit mehren sich die Anzeichen für eine erhebliche Entspannung des Angebots laut Umfragen bei Unternehmen – bei Lieferketten, Rohstoffpreisen, am Arbeitsmarkt etc. Die Inflation kann also in der Eurozone in diesem Jahr auf etwa 2,0 Prozent fallen und damit wieder das Inflationsziel der EZB erreichen. In den USA rechnen wir mit einer Inflation von 2,5 Prozent.
Der merkliche Rückgang der Inflation in der Eurozone, in Kombination mit einer nur stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung, dürfte die EZB schon im April zu Leitzinssenkungen bewegen. Wir rechnen insgesamt mit erheblichen Leitzinssenkungen von 4,0 Prozent bis auf 2,0 Prozent bis Ende 2024. Aufgrund der höheren Inflation und der besseren wirtschaftlichen Entwicklung in den USA erwarten wir dagegen 2024 in den USA nur Leitzinssenkungen von 5,35 Prozent bis auf 4,35 Prozent.
Gute Perspektiven für 2025
Die Leitzinssenkungen in diesem Jahr könnten dann einen neuen Aufschwung in Europa und den USA im Jahr 2025 anstoßen. Gerade die Eurozone bietet großes Potenzial für einen kräftigen Konsumaufschwung. So ging mit dem stagnierenden Konsum in der Eurozone eine ungewöhnlich hohe Sparquote in den vergangenen drei Jahren einher.
Nach der Pandemie verzeichnete die Sparquote nur einen moderaten Rückgang auf wieder normale Niveaus. Hätten die privaten Haushalte die in der Pandemie aufgebauten Überschussersparnisse ausgegeben, dann hätte die Sparquote auf deutlich unterdurchschnittliche Niveaus fallen müssen. 2023 war sogar wieder ein merklicher Anstieg der Sparquote zu beobachten. Dafür gab es zwei Gründe: Einerseits lockten die hohen Geldmarktzinsen die Konsumenten zum Sparen, andererseits bewirkte die nur stagnierende Kreditvergabe automatisch eine höhere Ersparnis auf makroökonomischer Ebene. Eine Kreditaufnahme ermöglicht nämlich bei einzelnen Konsumenten eine negative Sparquote.
Sollte also die EZB in diesem Jahr den Leitzins bis auf 2,0 Prozent senken, reduziert sich die Attraktivität des Sparens und die Kreditvergabe könnte wieder anspringen. Eine Folge könnte sein, dass die Konsumenten dann die aufgebauten immensen Überschussersparnisse ausgeben.
Für 2025 rechnen wir daher mit einem starken Wirtschaftswachstum in der Eurozone von 2,0 Prozent. China sehen wir grundsätzlich in einer vergleichbaren Stagnationsphase wie Japan in den 1990er-Jahren.
- Wachstumsverlangsamung voraus
- Erheblicher Rückgang der Inflation in der Eurozone
- Langsamer Rückgang der Inflation in den USA
- Leitzinssenkungen der EZB vor der Fed
Aktienmärkte 2024
Die New Economy 2.0 dürfte im Jahr 2024 grundsätzlich einen positiven Rahmen für die Aktienmärkte bieten. 2023 profitierten vor allem die Produzenten von Künstlicher Intelligenz und damit vor allem die großen Technologie-Unternehmen aus den USA.
2024 könnten auch Unternehmen in den Fokus geraten, die erfolgreich Künstliche Intelligenz anwenden und damit große Produktivitätssteigerungen erzielen können. Damit hätten auch Unternehmen aus Europa eine Chance auf eine gute Wertentwicklung. Gerade viele kleinere und mittlere Unternehmen in Europa haben zukunftsfähige Geschäftsmodelle und sind oft sehr innovativ.
Trotz der sehr positiven Wertentwicklung im Jahr 2023 sind europäische Aktien immer noch attraktiv bewertet: Auf Basis der ausgewiesenen Gewinne betrug das Kurs-Gewinn-Verhältnis europäischer Aktien Ende Dezember etwa 13,7 (Durchschnitt seit 1995: 15,7) und auf Basis der zukünftig geschätzten Gewinne etwa 12,6 (Durchschnitt seit 1995: 14,1).
Ein großes Risiko für zwischenzeitliche Turbulenzen an den internationalen Aktienmärkten ist die hohe US-Staatsverschuldung. Gerade der US-Wahlkampf beziehungsweise der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl könnte hierfür eine große Rolle spielen (siehe dazu die Publikation zu den US-Staatsschulden als Risikoszenario)2.
Natürlich besteht auch noch das Risiko einer Rezession in den USA und Europa. Die nach wie vor inversen Renditestrukturkurven auf beiden Seiten des Atlantiks signalisieren hierfür erhöhte Risiken. Auch ohne eine Rezession signalisieren derzeit die Konjunkturdaten eher eine geringe Konjunkturdynamik. Daher sehen wir Risiken für Enttäuschungen der Gewinnentwicklungen der Unternehmen im ersten Halbjahr. Auch könnte die Bewertung der Unternehmen zunächst noch fallen.
Vor diesem Hintergrund sehen wir für die internationalen Aktienmärkte ein holpriges erstes Halbjahr und dafür eine merkliche Erholung im zweiten Halbjahr.
Grundsätzlich erwarten wir jedoch für das Gesamtjahr 2024 ein moderates Wachstum der Unternehmensgewinne in allen Regionen und sehen vor allem in Europa und Japan Chancen auf eine höhere Bewertung.
1 Gleitender Durchschnitt über 10 Jahre der Wachstumsrate der Investitionen, um den Trend besser erfassen zu können
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