Achterbahnfahrt voraus – Ausblick 2024

Die Inflation sinkt und dürfte auch 2024 weiter sinken – erheblich diesseits, jedoch kaum jenseits des Atlantiks. Die Wachstumsaussichten der Wirtschaft könnten dagegen einer Achterbahnfahrt gleichen. Zu Beginn geht es mit einer Schwächephase abwärts, aufwärts dann erst später durch einen Aufschwung. In einem solchen Umfeld kann wahrscheinlich nur die Europäische Zentralbank den Leitzins senken.
Der Blick auf die Entwicklung der Wachstumsprognosen für das Jahr zeigt eindrücklich die Höhen und Tiefen dieses ungewöhnlichen Jahres, in dem sich sowohl die US-amerikanische als auch die europäischen Volkswirtschaften überraschend resilient zeigten. Im Verlauf des Jahres 2023 verbesserten sich die Wachstumsprognosen merklich – in den USA deutlich stärker als in der Eurozone. Gründe für die bessere Entwicklung der US-Wirtschaft trotz schwerer Bankenkrise im März 2023 waren einerseits höhere Staatsausgaben und andererseits eine deutlich bessere Konsumlaune. In Europa lag das Epizentrum der Energiekrise, was hier die Wirtschaft zusätzlich belastete.
2024 geht es abwärts und 2025 dann wieder aufwärts
Seit Anfang 2022 werden die Wachstumsprognosen für 2024 vom Konsensus mehr oder weniger kontinuierlich für die beiden Volkswirtschaften dies- und jenseits des Atlantiks nach unten revidiert. Die Geld- und Fiskalpolitik dürften maßgeblich dafür verantwortlich sein. So ist es das Ziel der Geldpolitik, die wirtschaftliche Aktivität zu dämpfen, um einen Rückgang der Inflation zu bewirken. Inzwischen muss aber die Fiskalpolitik Sparmaßnahmen ergreifen, um die Staatsdefizite zu reduzieren. So wird mit einem Rückgang des Staatsdefizits in der Eurozone von 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) 2023 auf 2,9 Prozent des BIPs 2024 gerechnet. Gleichzeitig wird für die USA im Wahljahr derzeit noch von einem unveränderten Defizit von 5,9 Prozent des BIPs ausgegangen.
Unsere Wachstumsprognosen liegen unterhalb des Konsensus: bei 0,2 Prozent für die Eurozone und bei 0,5 Prozent für die USA. Wir sehen etwas deutlichere Bremsspuren durch die restriktive Geldpolitik. So sind die Realzinsen 2023 erheblich gestiegen. In den USA bot zuletzt eine 10-jährige inflationsgeschützte Anleihe einen sicheren Realzins von etwa 2,5 Prozent und in der Eurozone eine 10-jährige inflationsgeschützte französische Staatsanleihe etwa 1,0 Prozent. Für 2025 sehen wir jedoch gute Chancen für eine merkliche Konjunkturerholung – vor allem in Europa aufgrund der erwarteten Leitzinssenkungen der EZB.
Inflationsperspektiven divergieren
Der Inflationsschub in der Eurozone und in den USA hatte unterschiedliche Ursachen – entsprechend unterschiedlich sind auch die Inflationsperspektiven.
Für die Eurozone zeigten mehrere Studien, dass überwiegend die merklich gestiegenen Energiepreise sowie die Unterbrechungen der Lieferketten für den Inflationsschub sorgten. Die Hauptursache war somit ein Angebotsschock, der in der Regel nur vorübergehend die Inflation anheizt. Jedoch kann sich auch daraus eine hartnäckige Inflation entwickeln: Steigen die Inflationserwartungen der Unternehmen und der privaten Haushalte dauerhaft, setzt sich eine Lohn-Preisspirale in Bewegung. Die gute Nachricht ist, dass die Inflationserwartungen der privaten Haushalte zuletzt deutlich gefallen sind.
Die Preissetzungsstrategien der Unternehmen und die Lohnforderungen der Arbeitnehmer sind hauptsächlich von kurzfristigen Inflationserwartungen beeinflusst. Daher scheinen die hohen Lohnforderungen in der Eurozone also überwiegend rückwärtsgerichtet zu sein, da offenbar Arbeitnehmer den Reallohnverlust aufholen wollen. Es spricht also vieles dafür, dass die niedrigen Inflationserwartungen – gekoppelt mit einer schwachen Wirtschaftsdynamik– einen merklichen Rückgang der Inflation in der Eurozone bis auf 2,0 Prozent im Jahr 2024 ermöglichen. Der Konsensus sieht dagegen die Inflation bei 2,7 Prozent. Auch ein monetaristischer Blickwinkel spricht dafür: So sank die Geldmenge M3 zuletzt deutlich, die noch im Januar 2021 mit einer Wachstumsrate von 12,6 Prozent frühzeitig ein Inflationswarnsignal geliefert hatte. Selbst in der großen Rezession 2008/09 stagnierte die Geldmenge M3 nur.
In den USA zeigten die Studien dagegen, dass der Inflationsschub überwiegend auf einer exzessiven Nachfrage beruhte. Vor allem die großzügigen staatlichen Hilfen schufen dafür die Grundlage und befeuerten auch die Konsumlaune der privaten Haushalte.
Vor dem Hintergrund robust steigender Staatsausgaben 2023, einem starken Arbeitsmarkt und der guten Konjunkturlaune könnte sich die US-Inflation als hartnäckig erweisen. Zumal auch die kurzfristigen Inflationserwartungen zuletzt wieder gestiegen sind. Unsere Inflationsprognose für die USA von 3,0 Prozent ist dementsprechend höher als die Konsensusprognose von 2,7 Prozent. Interessanterweise lässt sich auch in den USA ein fallendes Geldmengenwachstum beobachten, die Kreditvergabe expandiert jedoch noch moderat. Daher gibt es kein eindeutig monetaristisches Disinflationssignal wie in der Eurozone.
Zinsmärkte bleiben turbulent

Anfang der 1970er-Jahre löste eine zu frühe Lockerung der Geldpolitik eine zweite Inflationswelle aus. Die Sorge, dass sich ein solches Szenario wiederholen könnte, ist bei Fed und Europäischer Zentralbank (EZB) durchaus vorhanden. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass die EZB erst spät – dann aber rapide – ab dem zweiten Quartal 2024 die Zinsen von 4,0 Prozent auf 2,0 Prozent bis Jahresende senkt: einerseits aufgrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung und anderseits aufgrund der merklich fallenden Inflation. In den USA rechnen wir dagegen mit keinen Leitzinssenkungen im Jahr 2024 aufgrund der erwarteten hartnäckig erhöhten Inflation.
Stellvertretend für den Staatsanleihemarkt wird oft die Entwicklung der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen herangezogen. Sie setzt sich zusammen aus dem durchschnittlich erwarteten Leitzins über die kommenden zehn Jahre plus einer Risikoprämie. Von der US-Geldpolitik erwarten wir für 2024 kaum Impulse auf die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen – wohl aber von der Risikoprämie.
Grundsätzlich setzt sich die Risikoprämie für Anleihen aus dem Bonitäts- und dem Inflationsrisiko zusammen. In den USA gibt es kein Bonitätsrisiko, da das Land in eigener Währung verschuldet ist. Sollte es dennoch zu einem Käuferstreik kommen, würde die US-Notenbank eingreifen und Staatsanleihen kaufen. Damit würde sie „frisch gedrucktes Geld“ in den Umlauf bringen, was die Inflationsrisiken erhöht. Für USStaatsanleihen besteht also nur ein Inflationsrisiko; so ist es wenig überraschend, dass ein ungewöhnlich guter Zusammenhang zwischen dem Inflationstrend und der Bondrisikoprämie zu beobachten ist.
Aber natürlich haben auch Angebot und Nachfrage einen Einfluss auf die Risikoprämie. So kommt 2024 ein Rekordvolumen an neuen US-Staatsanleihen auf den Markt. Als „Hausnummer“ hierfür lässt sich das Staatsdefizit 2023 heranziehen, das bei etwa 2,0 Billionen USD liegen dürfte. Hinzu kommt, dass die US-Notenbank ihre Bilanz reduziert und für etwa 1,0 Billionen USD pro Jahr Staatsanleihen verkauft. Täglich werden Staatsanleihen fällig, die neu am Markt refinanziert werden müssen. Das Gesamtvolumen der Staatsanleihen 2024, die auf den Markt kommen, könnte gemäß Bloomberg bei 7,5 Billionen USD liegen – bei einer Größe des Gesamtmarktes von 26 Billionen USD.
Gleichzeitig ist zu beobachten, dass es immer weniger Käufer gibt, die unabhängig von der gebotenen Rendite einen großen Anlagebedarf haben – wie ausländische Zentralbanken und Staatsfonds. Das heißt, dass die zur Finanzierung der Defizite erforderlichen neuen Anleger nur dann US Staatsanleihen kaufen werden, wenn der Preis stimmt. So könnte eine höhere Risikoprämie in Zukunft notwendig sein, um genügend Käufer für US Staatsanleihen zu begeistern.
Wir sehen daher das Risiko eines Überschießens der Renditen von 10-jährigen Staatsanleihen in der Eurozone bis auf 3,5 Prozent in der Spitze und in den USA bis auf 5,5 Prozent im Jahresverlauf 2024. Gegen Jahresende 2024 erwarten wir wieder eine Beruhigung und sehen die 10-jährige Rendite von Bundesanleihen bei 2,5 Prozent und von US-Staatsanleihen bei 4,0 Prozent.
Aktienmärkte müssen noch durch das Tal der Tränen
In den USA trübt sich der Aktienmarktausblick zunehmend ein. Die Aktien sind hoch bewertet, daher vergleichen derzeit viele Finanzmarktakteure die Gewinnrendite von Aktien mit dem Geldmarktzins. In den USA ist die Gewinnrendite, die ein Indikator für den erwarteten mittelfristigen (realen) Ertrag von Aktien ist, sogar unter den Geldmarktzins gefallen. Sollte der Zins also länger hoch bleiben, könnte zunehmend Geld aus dem Aktienin den Geldmarkt fließen, bis die Aktienmarktbewertung wieder attraktiver geworden ist. Die Folge wäre eine Kurskorrektur, die sich vom Leitmarkt USA sicherlich auch auf die anderen Aktienmärkte weltweit übertragen würde. In Europa ist die Bewertung dagegen sehr attraktiv, was aber nur mittelfristig für eine gute Wertentwicklung sorgen dürfte.
Insgesamt sehen wir die Risiken für fallende Kurse an den Aktienmärkten im Frühjahr 2024 überwiegen. Spätestens zur Jahresmitte dürfte sich dann ein Boden gebildet haben und dann lässt sich die Frage nach attraktiven Chancen stellen. Schon seit August 2021 entwickeln sich europäische Nebenwerte deutlich schlechter als die Aktien der Großunternehmen – um etwa 25 Prozent bis Ende September 2023.
Die lange und ausgeprägte Phase der schlechteren Wertentwicklung ist sehr ungewöhnlich, da sich normalerweise Nebenwerte aufgrund des strukturell höheren Gewinnwachstums besser entwickeln. Es besteht also in diesem Segment die Chance auf eine merkliche Aufholjagd. Auch könnte sich ein Blick nach Fernost und Japan lohnen, da dort langsam die umfangreichen Reformen zu greifen beginnen. So bestehen gute Chancen, dass japanische Unternehmen ihre Eigenkapitalrendite in den kommenden Jahren deutlich steigern können. Einige Experten rechnen sogar mit einer Verbesserung der Eigenkapitalrendite von mehr als 25 Prozent.