USA an der Rezessionsklippe
USA: Stagnierender Konsum
Die US-Wirtschaft hat im ersten Halbjahr 2025 an Schwung verloren. Mit einem annualisierten Wachstum von lediglich 1,2 Prozent fiel die Dynamik nur halb so stark aus wie noch im Vorjahr. Auch der Arbeitsmarkt sendet erste Signale der Abkühlung – das Beschäftigungswachstum flacht spürbar ab. Die Ursachen sind vielfältig, aber klar strukturiert: Eine restriktive Geldpolitik, die protektionistische Zollpolitik der Trump-Administration und eine wachsende wirtschaftliche Verunsicherung bilden einen Dreiklang der Belastung.
Hohe Zinsen bremsen den kreditgetriebenen Konsum, Zölle wirken faktisch wie eine Konsumsteuer, und die zunehmende Unsicherheit veranlasst viele Haushalte zur Vorsicht – sprich: zur höheren Sparquote. Die Folge: Der reale Konsum stagniert seit Jahresbeginn.
Quellen: Bloomberg, Metzler; Stand: 30.6.2025
Noch vor wenigen Jahren hätte ein so schwacher Konsumverlauf ausgereicht, um die US-Ökonomie in eine Rezession zu stürzen. Denn in einem konsumgetriebenen Wirtschaftssystem wie dem der USA reagieren Unternehmen in der Regel schnell mit Investitionskürzungen und Personalabbau. Doch 2025 ist anders.
Was die US-Konjunktur derzeit stabilisiert, ist nicht der Konsum – sondern ein technologischer Strukturbruch: die KI-Revolution. Die großen Tech-Unternehmen investieren in einem nie dagewesenen Ausmaß in Rechenzentren, um KI-Modelle zu trainieren und produktiv anzuwenden.
Schätzungen zufolge fließen allein in diesem Jahr rund 1,2 Prozent des BIP in KI-bezogene Sachanlagen. Das ist mehr als der Beitrag des gesamten privaten Konsums zum Wirtschaftswachstum in der ersten Jahreshälfte. Eine historische Zäsur.
Quellen: https://paulkedrosky.com/honey-ai-capex-ate-the-economy/; Stand: 30.6.2025
Für das zweite Halbjahr ergibt sich ein fragiles Bild: Die US-Wirtschaft gleicht einem Fahrrad, das langsam fährt – und je langsamer es wird, desto größer das Risiko, dass es ins Straucheln gerät. Unser Basisszenario geht mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 Prozent davon aus, dass das Wachstum auf einem niedrigen, aber positiven Pfad von rund 1,0 Prozent bleibt. Entscheidend dabei: Die KI-Investitionen entfalten eher das Potenzial eines langfristigen Infrastrukturbooms – vergleichbar mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes im 19. Jahrhundert – und eben nicht die flüchtige Dynamik spekulativer Technologieblasen wie beim Glasfaserausbau der frühen 2000er-Jahre.
Ein zusätzlicher Stützpfeiler könnte im September von der US-Notenbank kommen. Eine Leitzinssenkung – möglicherweise sogar um 50 Basispunkte – liegt im Bereich des Wahrscheinlichen und dürfte der Konjunktur kurzfristig Rückenwind verleihen. Doch die Risiken bleiben hoch: Mit 30 Prozent liegt die Rezessionswahrscheinlichkeit aktuell doppelt so hoch wie in einem konjunkturell normalen Umfeld.
Kommt die geldpolitische Lockerung zu spät oder trifft die Zollpolitik der US-Regierung auf empfindlichere Lieferketten als erwartet, drohen negative Folgen für Beschäftigung und Konsum. Der reale private Konsum könnte nicht nur stagnieren, sondern schrumpfen. Umso mehr rücken die Einzelhandelsumsätze am Freitag in den Fokus der Märkte – als Frühindikator für das Gleichgewicht zwischen technologischem Aufbruch und konjunkturellem Abwärtssog.
Die Folgen wären ein negatives Beschäftigungswachstum und ein fallender realer Konsum. Die Einzelhandelsumsätze (Freitag) werden daher besonders im Fokus stehen.
USA: Inflation im Fokus
Während die Wachstumsdynamik der US-Wirtschaft ins Stocken gerät, rückt die nächste zentrale Wegmarke für die Geldpolitik in den Blick: Die Inflationsdaten am Dienstag könnten den Takt und das Ausmaß des bevorstehenden Leitzinssenkungszyklus maßgeblich prägen.
Besonders brisant: Laut aktuellen Berechnungen von Exante Data wurden in bereits elf Güterkategorien die erhöhten Zölle vollständig auf die Verbraucherpreise überwälzt – die Belastung ist also beim Konsumenten angekommen. In weiteren neun Kategorien steht dieser Effekt noch aus. Hier dürften bislang Lagerbestände als Puffer gewirkt haben. Doch sobald diese aufgebraucht sind, droht eine zweite Welle der Güterpreisinflation, die sich deutlich beschleunigen könnte.
Dem gegenüber steht eine entgegengesetzte Bewegung im Dienstleistungssektor: Die konjunkturelle Schwäche beginnt hier preisbremsend zu wirken. Besonders augenfällig wird dies auf dem Immobilienmarkt: Die Neumieten sinken spürbar, und die Angebotsüberhänge nehmen zu – ein klares Signal für nachlassenden Preisdruck. Damit entsteht ein disinflationärer Impuls, der geeignet ist, den inflatorischen Effekt aus dem Gütersegment zu überkompensieren.
Diese divergente Entwicklung könnte die US-Notenbank zu einer Neubewertung der Inflationsrisiken veranlassen. Sollte sich die Dienstleistungsinflation weiter abschwächen, könnte das der Fed den nötigen Spielraum verschaffen, um schneller und entschlossener zu handeln als bislang erwartet – also mit größeren und zahlreicheren Zinsschritten nach unten.
Die Märkte dürften daher nicht nur auf die aggregierte Teuerungsrate blicken, sondern besonders genau zwischen den Komponenten unterscheiden: Steigen die Güterpreise – aber fällt zugleich die Dienstleistungsinflation –, könnte die Netto-Bilanz inflationsmindernd ausfallen.
Europa: Enttäuschung macht sich breit
Mit ambitionierten Worten traten sowohl die neue Bundesregierung als auch die Europäische Kommission an, Europa zurück auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Im Zentrum dieser Ankündigungen stehen zweifellos höhere staatliche Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung – sie markieren den Beginn einer fiskalischen Neuausrichtung, die der ökonomischen Stagnation der letzten Dekade etwas entgegensetzen soll.
Fiskalische Expansion allein wird jedoch nicht reichen. Wachstum entsteht nicht nur durch mehr Ausgaben, sondern durch strukturelle Erneuerung. Dazu gehören ein leistungsfähiges Sozialsystem, eine durchlässige Verwaltung, der Abbau regulatorischer Hürden sowie gezielte Anpassungen im Arbeits- und Migrationsrecht. Genau hier aber gerät die deutsche Politik erneut ins Stocken.
An den Finanzmärkten dominiert bislang die Euphorie: Der geplante Infrastrukturfonds und die Rüstungsinvestitionen zugunsten der Bundeswehr gelten als erste Etappen einer expansiveren Haushaltspolitik – ein längst überfälliger Strategiewechsel, um die sogenannte „verlorene Dekade“ hinter sich zu lassen und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Doch die Stimmung kann schnell kippen. Denn strukturelle Blockaden innerhalb der Koalition werden immer offensichtlicher. Was zunächst nach einem entschlossenen Aufbruch aussah, entpuppt sich zunehmend als taktisches Klein-Klein. Statt Reformwillen dominiert wieder der bekannte Verwaltungsmodus: Vertagen, Verwässern, Verschieben.
Noch im Wahlkampf betonten selbst Teile der Opposition – insbesondere die Union – die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen: von der Rente über das Bürgergeld bis hin zur Bürokratie und Zuwanderung. Doch mittlerweile scheint die Union von ihren eigenen Forderungen abrücken zu wollen. Die Koalitionsparteien stehen sich in den zentralen Fragen oft unversöhnlich gegenüber, Kompromisse werden in Kommissionen ausgelagert, wo sie wirkungslos versanden.
Währenddessen steigen die Belastungen für private Haushalte und Unternehmen weiter an. Energiepreise, Bürokratiekosten und wachsender Fachkräftemangel bilden einen toxischen Mix für die Angebotsseite der Wirtschaft. Zugleich mehren sich Stimmen, die vor steigenden Haushaltslücken warnen – und erste Diskussionen über Steuererhöhungen machen die Runde.
Die Märkte bleiben bislang wohlwollend – noch. Doch langfristiges Vertrauen setzt voraus, dass fiskalpolitische Impulse von glaubwürdigen Strukturreformen flankiert werden. Wer dauerhaft auf Verschuldung setzt, ohne die Angebotsbedingungen zu verbessern, riskiert ökonomischen Stillstand bei wachsender sozialer Polarisierung.
Die entscheidende Frage lautet daher: Bleibt es bei der Wiederbelebung durch Schulden – oder gelingt ein echter Modernisierungsschub? Ohne substanzielle politische Entscheidungen wird der kurzfristige konjunkturelle Impuls verpuffen – und mit ihm die Hoffnung auf eine europäische Renaissance, die diesen Namen verdient.
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