Leitzinssenkungen der EZB sind ein Stabilitätsanker für europäische Staatsanleihen
Staatsschuldendynamik im Fokus
Die Verschuldung an sich ist oft kein guter Indikator, um die Risiken einer Schuldenkrise zu bestimmen. Vielmehr sind es merklich steigende Zinszahlungen, die Unternehmen und Staaten in finanzielle Schwierigkeiten bringen können. Die Zinszahlungen müssen dabei aus den Einnahmen bezahlt werden – das Verhältnis der beiden Größen ist die Zinsquote.
Laut Daten der OECD betrugen im Jahr 2024 die Zinszahlungen des deutschen Staates nur etwa 2,2 Prozent der Einnahmen. Dagegen mussten Frankreich etwa 4,0 Prozent der Einnahmen für Zinszahlungen aufwenden, und Italien 8,6 Prozent. Im Gegensatz dazu schossen in den USA die Zinszahlungen auf etwa 14,5 Prozent der Einnahmen. In Japan waren es etwa 3,4 Prozent.
Eine präzise und historisch belastbare Festlegung „kritischer Schwellenwerte“ für die Zinsquote wurde in der empirischen Forschung selten vorgenommen. Dennoch lassen sich aus einer Reihe zentraler empirischer Studien deutlich erkennbare Belastungsgrenzen ableiten.
Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) kommen im Rahmen des Debt Sustainability Framework (DSF) regelmäßig zu dem Schluss, dass bei Zinsquoten über 15 % der Staatseinnahmen in Schwellenländern eine akute Gefährdung der Schuldentragfähigkeit vorliegt.1
Für entwickelte Volkswirtschaften wird die kritische Grenze höher angesetzt: Laut einer Untersuchung von Escolano et al.2 wird ab einer Zinsquote von 20–25 Prozent die Fähigkeit des Staates, fiskalisch gegenzusteuern, spürbar eingeschränkt. Die Autoren definieren diese Schwelle als Zone „fiscal vulnerability“, in der das Vertrauen der Kapitalmärkte unter Druck gerät.
Die OECD verweist in ihrem Papier „Fiscal Space and Sovereign Risk“ explizit auf die zunehmende Gefahr systemischer fiskalischer Krisen, sobald mehr als ein Fünftel der Einnahmen für den Schuldendienst aufgewendet werden müssen. Diese Studien verdeutlichen: Zinsausgaben von über 20 % der Staatseinnahmen markieren einen Bereich fiskalischer Fragilität. Die USA könnten laut Exane Data diesen Wert schon 2026 oder 2027 ohne nennenswerte Sparmaßnahmen überschreiten.
In der Eurozone eröffnet der merkliche Rückgang der Inflation (Dienstag) dank fallender Energiepreise, eines starken Euro-Wechselkurses und einer moderaten konjunkturellen Entwicklung der EZB den Spielraum für Leitzinssenkungen. Wir erwarten am Donnerstag einen Zinsschritt auf 2,0 Prozent, gefolgt von zwei weiteren Schritten bis auf 1,5 Prozent. Damit ist unsere Prognose im Einklang mit den an den Finanzmärkten eingepreisten Erwartungen.
Immerhin hat sich der Arbeitsmarkt in der Eurozone bisher als überraschend stabil dargestellt: die Arbeitslosenquote ist sogar von 6,5 Prozent im März 2024 auf 6,2 Prozent im März 2025 gefallen. Solange der Arbeitsmarkt stabil bleibt, dürfte die EZB den Leitzins nicht auf ein Niveau unter 1,5 Prozent senken.
Quellen: EZB, Bloomberg, Metzler; Stand: 30.4.2025
Insgesamt bedeutet die Perspektive auf weitere Leitzinssenkungen der EZB, dass die Zinslast der Staaten in der Eurozone eher sinken dürfte. Historisch haben Leitzinssenkungen der EZB zu einem Rückgang der Renditedifferenz zwischen riskanteren Staatsanleihen aus der Eurozone und Bundesanleihen geführt. Damit sinken auch die Risiken von Ansteckungseffekten von Turbulenzen an den Staatsanleihemärkten in Japan und den USA. Die europäischen Anleihemärkte könnten sich somit zu einem sicheren Hafen entwickeln.
Japan: Inflationsdynamik entscheidend
Die Unruhe am japanischen Staatsanleihemarkt dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass die Inflation deutlich gestiegen ist.
In Japan waren bisher zwei Inflationsschübe zu beobachten. Der erste Inflationsschub ab 2022 war bedingt durch steigende internationale Preise (unter anderem Rohstoffe) und einem schwachen Wechselkurs. Als sich die Lieferketten wieder entspannten und sich der Yen-Wechselkurs auf niedrigem Niveau stabilisierte, fiel die Inflation wieder merklich.
Der derzeitige zweite Inflationsschub ist eine Folge einer höheren Lohndynamik (Donnerstag). Es gibt also eine Lohn-Preis-Dynamik, die den Effekt hat, den Inflationsanstieg hartnäckiger zu machen. Die spannende Frage wird sein, ob sich diese Dynamik auf etwa 2,0 % Inflation einpendelt oder in eine Lohn-Preis-Spirale übergeht. Der Anstieg der Renditen 30-jähriger japanischer Staatsanleihen ist ein Signal, dass der Anleihemarkt zumindest dieses Risiko nunmehr einpreist. Die Regierung und Zentralbank können aber immer noch dafür sorgen, dass es sich nicht materialisiert.
USA: Verlangsamung der Dynamik
Vorzieheffekte belebten im ersten Quartal 2025 den Konsum. Nun scheint aber das Pendel in die andere Richtung zu schwingen und eine Abschwächung des Konsums und damit der Konjunkturdynamik stattzufinden. Wir erwarten daher eher Rückgänge beim ISM-Index und ISM-Dienstleistungsindex (Montag und Mittwoch). Die konjunkturelle Abkühlung dürfte auch am Arbeitsmarkt (Freitag) und anhand der Zahl der offenen Stellen (Dienstag) sichtbar werden.
1 IMF & World Bank (2023): "Debt Sustainability Analysis for Low-Income Countries"
2 (2011, IMF Working Paper 11/30)
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