Wie der Biodiversitätsverlust Wirtschaftssektoren beeinflusst
Land, Wasser, Luft, Rohstoffe – das sind Ökosystemdienstleistungen, die die Natur kostenlos erbringt und die alle Sektoren mittelund unmittelbar nutzen. Das World Economic Forum (WEF) schätzt, dass mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts moderat bis stark von den Ökosystemdienstleistungen einer intakten Natur (dem sogenannten „Natural Capital“) abhängt. Die Vielfalt an Organismen, Lebensräumen und Ökosystemen zu Land, Wasser und in der Luft – kurz die Biodiversität – sinkt aber seit den 1970er-Jahren besorgniserregend. Biodiversitätsverluste können somit für alle Sektoren in unterschiedlichen Ausprägungen zum Risiko werden.
Messung von Biodiversität steht noch am Anfang
Die „Taskforce on Nature-related Financial Disclosures” (TNFD) arbeitet an der Entwicklung von Kriterien und Standards zur Offenlegung von Biodiversitätsrisiken. Ziel ist die Entwicklung eines wissenschaftsbasierten und anwendungsorientierten Rahmenkonzeptes für Finanzinstitute und Unternehmen. Auf dieser Grundlage können dann auch Investoren ein tieferes Verständnis biodiversitätsbezogener Risiken und Chancen im Portfolio gewinnen.
Grundsätzlich gilt die Quantifizierung von Biodiversitätsaspekten als anspruchsvoll und im Vergleich zu klimabezogenen Risiken als weniger gut erforscht. Ein einheitlicher Indikator, etwa vergleichbar mit der CO2-Intensität bei der Erfassung von Klimarisiken im Portfolio, der die Gesamtauswirkungen präzise abbildet, existiert bis dato nicht. Zudem erschweren komplexe Prozesse und Wechselwirkungen innerhalb der jeweiligen Ökosysteme eine Bepreisung von Biodiversitätsverlusten. Bei der Messung des „Biodiversitäts-Fußabdrucks“ von Unternehmen liegt der Fokus üblicherweise auf den negativen Biodiversitätsauswirkungen – beispielsweise der Wasser- oder Luftverschmutzung.
Je höher die Abhängigkeit, desto höher die Risiken
Der Verlust von Ökosystemdienstleistungen dürfte die Geschäftstätigkeit vieler Unternehmen betreffen – etwa durch Auswirkungen auf den operativen Betrieb, Lieferketten, Absatz- und Beschaffungsmärkte. So sind einzelne Industrien wie die Land- und Forstwirtschaft aber auch Teile der Tourismusindustrie unmittelbar abhängig von Ökosystemdienstleistungen. Der Verlust und die Verknappung von Rohstoffen dürfte bei dann steigenden Preisen für Vorleistungsgüter aber auch indirekt Auswirkungen auf viele andere Geschäftsmodelle haben. Neben den betrieblichen Risiken sehen sich Unternehmen zunehmend konfrontiert mit Reputationsrisiken in Folge verschärfter Berichtspflichten.
Hinzu kommt, dass einige der regulatorischen Initiativen dabei einzelne Industrien finanziell belasten dürften. So untersagt die „EU Deforestation Regulation (EUDR)“ den EU-weiten Verkauf von Erzeugnissen aus Gebieten mit intensiver Abholzung. Betroffen sind Produkte wie Kaffee, Kakao, Holz oder Palmöl. Die Folge: Mit dem Importverbot werden einige Unternehmen gezwungen sein, die Produktion in andere Gebiete zu verlegen oder mit anderen Zulieferern zusammenzuarbeiten.
Erste ESG-Ratings berücksichtigen bereits Biodiversität
Die Kennzahl „Natural Capital Theme Score“ ist Teil des MSCI ESG Ratings. Sie basiert auf Informationen zu Biodiversität und Landnutzung und auch auf Daten zur Wasserentnahme und Rohstoffbeschaffung. Bewertet werden neben der Risikoexposition von Unternehmen auch deren Managementmaßnahmen und Governancestrukturen, um Risiken für die Biodiversität zu mindern.
Die Abbildung zeigt die Scores für unterschiedliche Sektoren des Aktienindex MSCI World, der etwa 1.500 Unternehmen umfasst. Überdurchschnittlich gut schneiden der Finanz-, Versorgungs- und Kommunikationssektor ab. In Sektoren, die stärker von Ökosystemdienstleistungen abhängig sind, fallen die Scores dagegen signifikant schlechter aus. Dazu zählen Grundstoffhersteller und Energieunternehmen. Beim Bergbau und bei der Ölund Gasförderung sind die Biodiversitätsrisiken durch Ressourcenentnahme, Abholzung, Verschmutzung, Bodendegradation und Wasserverbrauch besonders hoch. Im Basiskonsumgütersektor gehen die Risiken vor allem von der Tabak-, Pflegeprodukte- und Lebensmittelindustrie aus.
Der Schutz der biologischen Vielfalt dürfte also zunehmend in den Fokus der Anleger rücken, denn nicht nur der Verlust von Ökosystemdienstleistungen bedroht viele Unternehmen. Hinzu kommt, dass regulatorische Initiativen die Unternehmen und den Finanzsektor zu mehr Transparenz verpflichten. Beides dürfte dazu führen, dass Biodiversitätsrisiken zukünftig bei der Unternehmensanalyse ein höheres Gewicht bekommen.