Staatsanleihemärkte in den USA und Japan werden nervös
Vorbeben an den Staatsanleihemärkten?
Die Rendite 30-jähriger US-Staatsanleihen ist in dieser Woche bis auf 5,15 Prozent gestiegen. Die dafür oft genannten Gründe sind die Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit durch Moody’s von Aaa auf Aa1, eine schwache Auktion von 20-jährigen US-Staatsanleihen sowie die geplanten umfangreichen Steuererleichterungen und Ausgabenprogramme ohne ausreichende Gegenfinanzierung der Regierung von Donald Trump. Dagegen tendiert die Rendite 5-jähriger US-Staatsanleihen seit September 2022 mehr oder weniger um ein Niveau von 4,1 Prozent seitwärts. Die Renditedifferenz zwischen 30-jährigen US-Staatsanleihen und 5-jährigen US-Staatsanleihen ist somit von etwa -0,5 Prozentpunkten im März 2023 auf etwa +1,0 Prozentpunkte gestiegen. Der Anstieg der Renditedifferenz ist ein Zeichen dafür, dass die Anleger nervöser werden und eine höhere Risikoprämie für langlaufende Staatsanleihen fordern.
Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand: 22.5.2025
In Japan ist eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten. Dort erreichten die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen im Wochenverlauf knapp 3,2 Prozent. Dieser Anstieg resultierte vor allem aus einer schwachen Nachfrage bei Auktionen und der Reduzierung von Anleihekäufen durch die Bank of Japan (BOJ). In Japan ist die Renditedifferenz zwischen 30-jährigen Staatsanleihen und 5-jährigen Staatsanleihen auf etwa 2,2 Prozentpunkte gestiegen und hat den höchsten Wert seit Verfügbarkeit der Daten Anfang 1999 erreicht.
Warum steigen die Renditen in Japan?
Ein Grund ist sicherlich die hohe Staatsverschuldung und die Frage nach der langfristigen Tragfähigkeit. Dazu wäre es dringend notwendig, dass die japanische Regierung noch in diesem Jahr einen Primärüberschuss erzielt – also einen Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen. Immerhin konnte sie im vergangenen Jahr das Primärdefizit schon auf nur noch 1,6 Prozent des BIP reduzieren.
Gleichzeitig ist die Inflation deutlich angestiegen. So betrug die Inflation im Großraum Tokio (Freitag) im April etwa 3,4 Prozent. Das heißt selbst eine Rendite von etwa 3,2 Prozent bei einer 30-jährigen japanischen Staatsanleihe ist mit einem negativen Realzins verbunden. Die Bank von Japan muss daher eine Perspektive bieten, dass sie die Inflation mittelfristig bei 2,0 Prozent verankern wird.
Eigentlich müsste die japanische Regierung nun ihre Devisenreserven von mehr als einer Billionen US-Dollar auflösen und mit dem Geld ihre Staatsanleihen zurückkaufen. Damit würde sie einerseits die Verschuldung reduzieren und andererseits den eigenen Anleihemarkt beruhigen, da der stärkere Yen-Wechselkurs die Inflation dämpft. Darüber hinaus haben japanische Privatanleger laut Reuters etwa 2,3 Billionen USD in ausländische Anleihen angelegt. Auch sie könnten ausländische Anleihen verkaufen und die höheren Renditen in ihrem Heimatmarkt nutzen. Das heißt, es besteht eine gewisse Gefahr, dass sich die Turbulenzen am japanischen Anleihemarkt auf den US-Anleihemarkt übertragen.
Kurzfristig kann der japanische Staat seine Finanzierung anpassen und sich über kurzlaufende Anleihen finanzieren. Eine akute Staatsschuldenkrise ist also unwahrscheinlich. Trotzdem ist der dramatische Anstieg der Risikoprämien ein Warnsignal und Vorbeben, auf das die japanische Regierung reagieren sollte.
USA: Steuersenkung sollte abgeblasen werden
Die Nervosität am US-Staatsanleihemarkt ist zurückzuführen auf die hohe Staatsverschuldung, die schon jetzt hohen Primärdefizite und auf die Perspektive auf noch höhere Defizite infolge der geplanten Steuersenkungen. Vor diesem Hintergrund sollten die Steuersenkungen eigentlich abgeblasen werden und eher Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen beschlossen werden. Die steigenden Renditen erhöhen nämlich die Zinskosten und verschlechtern damit die Schuldentragfähigkeit, was wiederum zu steigenden Renditen führen kann. Natürlich ist es möglich, dass die US-Regierung die aktuellen Turbulenzen am Anleihemarkt als irrationale Übertreibung ansieht und die US-Notenbank Fed zum Kauf von Staatsanleihen auffordert. Ein Konflikt zwischen beiden ist somit wahrscheinlicher geworden – mit offenem Ausgang.
Darüber hinaus gibt es eine gewisse Zweiteilung der Konjunkturdaten. Umfragen wie das Konsumentenvertrauen (Dienstag) zeichnen eher ein pessimistisches Bild, während realwirtschaftliche Daten wie die Auftragseingänge (Dienstag) und die Konsumausgaben (Freitag) eher ein optimistisches Bild zeigen. Das könnte entweder damit zusammenhängen, dass die Auswirkungen der Zölle erst in den kommenden Monaten in den realwirtschaftlichen Daten zu sehen sein werden. Oder dass die Auswirkungen der Zölle auf die Realwirtschaft weniger problematisch sind als befürchtet.
Europa zeigt sich widerstandsfähig
Es ist paradox, aber ausgerechnet in einer Phase, in der sich viele westliche Demokratien im politischen Taumel befinden, beginnt Europa, sein strukturelles Defizit in einen geopolitischen Vorteil zu transformieren. Nicht durch revolutionären Fortschritt, sondern durch die stille Kraft der institutionellen Resilienz. Und das aus gutem Grund: In einer Welt, in der die Fiskalpolitik der USA zunehmend aus den Fugen gerät und China wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, gewinnt Europa durch das, was lange als Schwäche galt – seine Langsamkeit und Komplexität.
Europa zeigt sich – trotz aller Defizite – als fiskalisch und institutionell widerstandsfähig. Die Schuldenquote der Eurozone ist zwar mit 89 Prozent des BIP immer noch zu hoch, aber immerhin in der Tendenz fallend und zudem flankiert durch eine glaubwürdige Geldpolitik der EZB sowie ein institutionelles Gefüge, das exzessive fiskalische Eskalation verhindert.
Ein Kontinent lernt geostrategische Lektionen
Die Reaktion Europas auf den Ukraine-Krieg offenbart einen strategischen Lernprozess. Jahrzehntelang vernachlässigte Verteidigungsausgaben, ein naiver Glaube an wirtschaftliche Interdependenz als Friedensgarantie – all das wurde 2022 jäh korrigiert. Seither formiert sich eine europäische Verteidigungsarchitektur, die zwar nicht aggressiv, aber abschreckend wirken soll. Dies ist ein klassisches Beispiel für die „slow but steady“ Anpassungsdynamik, die Europa seit dem Maastricht-Vertrag begleitet.
Anders als autoritäre Staaten ist Europa strukturell nicht in der Lage – und nicht willens –, aggressive geopolitische Experimente zu wagen. Auch wirtschaftspolitisch bleibt der Kontinent ein Verteidiger offener Märkte. Im Gegensatz zur US-Handelspolitik unter Trump, die zunehmend merkantilistisch geprägt ist, bemüht sich Europa um neue Freihandelsabkommen und regelbasierte Kooperationen, etwa mit Lateinamerika (Mercosur) oder Großbritannien (Mini-Deal 2025). Es wäre sehr vorteilhaft, wenn die EU bald ein Handelsabkommen mit Indien schließen könnte.
Deutschland als wirtschaftliches Epizentrum
Die Rückkehr Deutschlands in eine aktivere wirtschaftspolitische Rolle ist keine triviale Entwicklung. Nach Jahren fiskalischer Selbstbeschränkung beginnt die Bundesregierung unter Friedrich Merz, den Spielraum der Schuldenbremse zu nutzen. Damit verbunden ist die Aussicht auf einen zyklischen Aufschwung – 1,4 % Wachstum für 2026 erscheinen unter diesen Bedingungen nicht überambitioniert. In den kommenden Monaten dürfte aber der Handelskonflikt mit den USA noch das Wirtschaftswachstum belasten, wie der Geschäftsklimaindex am Dienstag zeigen dürfte. Immerhin könnte sich langsam die Stimmung der deutschen Konsumenten verbessern: GfK-Konsumentenvertrauen (Dienstag). Für Europa ist das von zentraler Bedeutung: In einer Währungsunion ohne zentrale Fiskalinstanz entfaltet Deutschlands Fiskalpolitik eine disproportionale Strahlkraft. Ein stärkeres, wachstumsorientiertes Deutschland ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ein Schlüssel zur Stabilisierung Europas.
Strukturelle Asymmetrien bleiben bestehen
Insgesamt bleibt Europa aber strukturell limitiert. Es fehlt ein Kapitalmarktumfeld, das in der Lage wäre, Innovationen in die Breite zu tragen. Die Fragmentierung der politischen Entscheidungsstrukturen erschwert eine echte Industriepolitik. Und der Rückstand bei Künstlicher Intelligenz und digitalen Plattformen ist evident. Europa braucht dringend eine stärkere Innovationspolitik.
Auch die demografischen Herausforderungen sind gravierend: Ein schrumpfendes Arbeitskräftepotenzial trifft auf alternde Gesellschaften und starre Sozialsysteme. Migration als Antwort auf diesen Trend bleibt politisch umstritten, auch wenn sie ökonomisch notwendig ist. Immerhin zeichnen sich – wie in Deutschland – pragmatischere Lösungen ab: restriktiv gegenüber Illegalität, offen gegenüber Qualifikation.
Europa als strategisches Anlageziel
Aus Investorensicht stellt sich eine grundlegende Frage: Wohin mit dem Kapital in einer Welt wachsender Unsicherheit? Europa bietet zwar kein überdurchschnittliches Wachstum, aber zunehmend relative Stabilität. Wenn die Alternative ein überschuldetes, politisch fragmentiertes Amerika ist, dessen Institutionen unter Druck stehen, gewinnt Europa als „Safe Haven“ an Attraktivität – gerade im langfristigen Portfolio-Kontext. Wachstum ist wichtig, aber Nachhaltigkeit und institutionelle Qualität sind ebenso entscheidend für den Erfolg von Volkswirtschaften. Europa kann nicht alles besser. Aber es macht derzeit weniger falsch.
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